Mittwoch, 18. Dezember 2019

O Adonai

Mose und der brennende Dornbusch, Basilika Sacre-Coeur, Paray le Monial



Adonai du starker Gott

Führer des Hauses Israel
Du bist dem Mose im Feuer des Dornbusches erschienen
und hast ihm auf dem Sinai das Gesetz gegeben.
Komm, rette uns mit hocherhobenem Arm!

Vgl. Ex 6, 3 (Adonai statt Jahwe); Ex 13, 21; 3, 1-2; 19, 1-5; 6, 6.



Liebe Brüder und Schwestern!
In diesen Tagen, in denen wir uns immer mehr dem großen Fest der Geburt Christi nähern, regt uns die Liturgie an, unsere Vorbereitung zu vertiefen. Sie legt uns viele biblische Texte des Alten und des Neuen Testaments vor, die uns dazu anspornen, uns den Sinn und den Wert dieses jährlich wiederkehrenden Ereignisses gut zu vergegenwärtigen. Wenn das Weihnachtsfest uns einerseits des unglaublichen Wunders der Geburt des eingeborenen Sohnes Gottes aus der Jungfrau Maria in der Grotte von Betlehem gedenken läßt, so ermahnt es uns andererseits auch, wachend und betend unseren Erlöser zu erwarten, denn am letzten Tag »wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten«.
Vielleicht warten wir heute, auch wir Gläubigen, wirklich auf den Richter; wir alle warten jedoch auf Gerechtigkeit. Wir sehen soviel Ungerechtigkeit in der Welt, in unserer kleinen Welt, zu Hause, in unserem Stadtviertel, aber auch in der großen Welt der Staaten, der Gesellschaften. Und wir warten darauf, daß Gerechtigkeit geschaffen wird. Die Gerechtigkeit ist ein abstrakter Begriff: Gerechtigkeit wird hergestellt. Wir warten darauf, daß derjenige, der Gerechtigkeit herstellen kann, wirklich kommen möge. Und in diesem Sinne beten wir: Komm, Herr Jesus Christus, als Richter, komm auf deine Weise. Der Herr weiß, wie er in die Welt eintreten und Gerechtigkeit schaffen soll. Wir beten darum, daß der Herr, der Richter, uns antworten möge, daß er wirklich Gerechtigkeit in der Welt schaffen möge. Wir warten auf Gerechtigkeit, aber das kann nicht nur Ausdruck eines Anspruchs sein, den wir an die anderen stellen. Auf Gerechtigkeit zu warten bedeutet im christlichen Sinne vor allem, daß wir selbst beginnen, vor dem Angesicht des Richters und nach den Maßstäben des Richters zu leben. Es bedeutet, daß wir beginnen, in seiner Gegenwart zu leben, indem wir die Gerechtigkeit in unserem Leben verwirklichen. So nämlich – wenn wir die Gerechtigkeit verwirklichen und uns in die Gegenwart des Richters stellen – warten wir in der Wirklichkeit auf die Gerechtigkeit.
Das ist der Sinn des Advents, der Wachsamkeit. Adventliches Wachen heißt, vor dem Angesicht des Richters zu leben und so uns selbst und die Welt für die Gerechtigkeit bereit zu machen. Auf diese Weise also, wenn wir vor dem Angesicht Gottes, des Richters, leben, können wir die Welt öffnen für das Kommen seines Sohnes, können wir das Herz bereiten, um den »Herrn, der kommt«, aufzunehmen.
Das Kind, das die Hirten vor nunmehr 2000 Jahren in der Nacht von Betlehem in einer Grotte anbeteten, wird nicht müde, im täglichen Leben zu uns zu kommen, während wir als Pilger auf dem Weg zum Reich Gottes sind. In seinem Warten bringt der Gläubige also die Hoffnungen der ganzen Menschheit zum Ausdruck. Die Menschheit sehnt sich nach Gerechtigkeit, und so wartet sie, wenn auch oft unbewußt, auf Gott, sie wartet auf das Heil, das nur Gott uns schenken kann. Für uns Christen ist dieses Warten geprägt vom unablässigen Gebet: Das wird sehr deutlich in den besonders eindrucksvollen Anrufungen, die uns in diesen Tagen der Weihnachtsnovene sowohl in der Messe, im Ruf vor dem Evangelium, als auch in der Feier der Vesper, vor dem Gesang des »Magnifikat«, vorgelegt werden.
Jede der Anrufungen, die um das Kommen der Weisheit, der Sonne der Gerechtigkeit, des Gott-mit- uns flehen, enthält ein Gebet, das an den von den Völker Erwarteten gerichtet ist, auf daß er bald komme. Um das Geschenk der Geburt des verheißenen Erlösers zu bitten, bedeutet jedoch auch, daß man sich bemüht, ihm den Weg zu bereiten und ihm eine würdige Wohnstatt zu schaffen – nicht nur in unserer Umgebung, sondern vor allem in unserer Seele. Indem wir uns vom Evangelisten Johannes leiten lassen, wollen wir daher versuchen, in diesen Tagen den Sinn und das Herz dem ewigen Wort zuzuwenden, dem »Logos«, dem Wort, das Fleisch geworden ist und aus dessen Fülle wir Gnade über Gnade empfangen haben (vgl. 1,14.16).
(Benedikt XVI., Generalaudienz, 19.12.2007)

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