Samstag, 28. April 2018

Ludwig Maria Grignion von Montfort (Saint Laurent sur Sevre)

Büste des hl. Ludwig Maria Grignion, Basilika des hl. Ludwig Maria in Saint Laurent sur Sevre


Ludwig-Maria Grignion von Montfort wurde am 31. Januar 1673 in Montfort-sur-Meu / Bretagne als zweitältestes von 18 Kindern geboren. Über seine Kindheit gibt es nur spärliche Hinweise; als er elf Jahre alt war, schickten die Eltern ihn auf das Jesuitenkolleg St. Thomas Becket in Rennes. Unter dem Einfluss der Jesuiten, denen er sich zeitlebens verbunden wusste, vertiefte sich seine Liebe zu Maria und reifte seine priesterliche Berufung heran. Ab Herbst 1692 finden wir ihn in Paris, wo er als mittelloser Student in die Gemeinschaft des Seminars von Saint-Sulpice aufgenommen wurde. Am 5. Juni 1700 wurde er zum Priester geweiht.

Apostolischer Missionar
Die ersten Jahre seines insgesamt 16-jährigen priesterlichen Wirkens waren eine Kette von Misserfolgen. Er predigte hier und da Volksmissionen, arbeitete längere Zeit in den Armenhäusern in Paris und in Poitiers, wo er zusammen mit der seligen Marie-Luise Trichet einen Frauenorden, die „Töchter der Weisheit“ ins Leben rief. Nirgendwo konnte er auf Dauer bleiben. So beschloss er, sich beim Papst selbst Rat zu holen. Zu Fuß bettelte er sich nach Rom durch. Im Juni 1706 kniete er vor Clemens XI. und trug ihm die Bitte vor, in die Missionen des Fernen Ostens oder Kanadas gesandt zu werden. Der Papst, der in diesem armen, seltsamen Priester außerordentliche Gottesgaben erkannte, lehnte seine Bitte ab. Statt dessen trug er ihm auf, in seine Heimat zurückzukehren und dort die Erneuerung des Taufgelübdes zu predigen. Er verlieh ihm den Titel eines „Apostolischen Missionars“ und empfahl ihm, in allem seinen Bischöfen zu gehorchen; dann werde Gott seine Arbeit segnen.
Von nun an sehen wir Ludwig-Maria nur noch als Missionsprediger, der fast ständig unterwegs war und bis zu seinem frühen Tod annähernd 200 Volksmissionen im Nordwesten Frankreichs durchführte. Sein Lebensstil als armer, umherziehender Prediger, der seine wenigen Habseligkeiten in einem Bündel über der Schulter trug und von Almosen lebte, galt als eines Klerikers unwürdig. Er predigte in Kirchen und Klöstern, Elendsvierteln und Armenhäusern, auf den Straßen und in Kneipen, vor Soldaten und Prostituierten. Er sprach die Sprache seiner Zuhörer, konkret und bildhaft, und knüpfte an ihre Erfahrungen an. Er besaß die Gabe, das Vertrauen und die Herzen der Menschen zu gewinnen.
Damit die Mission nicht nur ein Strohfeuer blieb, ließ er jeden Teilnehmer nach der Erneuerung des Taufgelübdes – dem Ziel- und Höhepunkt jeder Mission – einen „Bundesvertrag mit Gott“ unterschreiben. Er sorgte dafür, dass in jeder Gemeinde Gebetsgruppen gebildet wurden, und lehrte das Rosenkranzgebet. In ihm sah er das beste Mittel, die Wirkung der Mission dauerhaft zu machen. Er verband dieses einfache Gebet mit einer echten Betrachtung der Lebensgeheimnisse Christi und mit der Forderung nach einem ernsthaften christlichen Leben: Gebet und Leben müssen eine Einheit bilden.


Fruchtbare missionarische Arbeit
Seine tiefe Frömmigkeit, sein einfacher, ganz auf die Vorsehung Gottes bauender Lebensstil, der Mut, mit dem er in schwierigen Situationen reagierte, beeindruckten die Menschen. Seine Predigt, die von seiner persönlichen Erfahrung der Liebe Gottes und der mütterlichen Fürsorge Marias geprägt war, führte Tausende zurück zum Glauben. In einer Zeit, in der die Verkündigung eher von einer jansenistischen Strenge bestimmt war, die mit ihren überhöhten Ansprüchen besonders die einfachen Gläubigen mutlos machte, sprach er von Gottes Barmherzigkeit, empfahl sogar die tägliche Kommunion, eine innige Marienverehrung und die völlige Hingabe an Jesus und Maria mit allem, was wir sind und haben.
Stil und Inhalt seiner Predigt und ihr Erfolg schufen ihm nicht nur Freunde. Bischöfe verboten ihm ihre Diözese. Es blieb nicht bei Verleumdungen und Anfeindungen, es gab Anschläge auf sein Leben, man versuchte ihn zu vergiften.
Das alles konnte Ludwig-Maria nicht irre machen. Er war sich gewiss, dass sein Leben ganz in den liebenden Händen Jesu lag oder, wie er selbst es ausgedrückt hätte, dass er „Liebessklave Jesu und Marias“ war, das heißt Sklave im neutestamentlichen Sinn einer völligen Abhängigkeit in Liebe, wie Maria sich „Magd des Herrn“ (Lk 1,38) nennt, und Paulus sich als „Sklave Jesu Christi“ (Röm 1,1) bezeichnet.
In diese völlige Abhängigkeit versenkte er sich immer tiefer hinein. Es war seine Antwort auf die bestürzende Erkenntnis, wie sehr sich der unendlich große Gott in seiner Liebe herablässt und in einer jungen Frau Mensch wird, um die Menschheit zu erlösen. In der vollkommenen Hingabe an Jesus und Maria macht sich Ludwig-Maria in jeder Hinsicht abhängig von der Liebe Gottes. Das war sein Weg zur Vereinigung mit Christus, in der er das einzige Lebensziel des Christen sah. Es war und ist der Weg, den er anderen empfiehlt.


In Verbundenheit mit Jesus und Maria
Die Kraft für seinen rastlosen apostolischen Einsatz erwuchs Ludwig-Maria aus der Gnade der bleibenden Gegenwart Jesu und Marias in seiner Seele, wie er zwei Jahre vor seinem Tod gegenüber einem Freund bekannt hat. Immer wieder nahm er sich die Zeit, sich im Gebet dem Wirken des Geistes zu öffnen. Vorbild und Hilfe war ihm dabei Maria, deren Ja zum Wirken des Geistes er sich immer tiefer zu eigen machte. So wurde er immer mehr in ein lebendiges Abbild Christi umgestaltet.
Verbraucht durch sein unermüdliches Wirken, geschwächt durch seine entbehrungsreiche Lebensweise und die Anschläge auf sein Leben, brach er während der Mission in Saint-Laurent-sur-Sèvre zusammen. Das Thema seiner letzten Predigt war bezeichnend: Er sprach über die Schönheit und die Güte Jesu, der menschgewordenen Weisheit Gottes. Er starb am 28. April 1716, kurz nach seinem 43. Geburtstag. Einige Monate zuvor hatte er in einem Brief an Marie-Luise Trichet geschrieben: „Wenn wir nichts für Gott riskieren, werden wir niemals etwas Großes für ihn tun.“ Ludwig-Maria hat alles riskiert für Gott allein. Sein Mut, seine Kreativität, sein lebendiger Glaube, sein äußerst einfacher Lebensstil, seine Identifikation mit den Armen und Unterdrückten machen ihn zu einem Vorbild für die Christen aller Zeiten. Papst Pius XII. hat ihn am 20. Juli 1947 heiliggesprochen. Sein Gedenktag ist der 28. April.

(Quelle: Monfort-Missionswerk)


Die Statue des hl. Ludwig Maria im Petersdom (Kurzbiographie)

Am 19. September 1995 ist Johannes Paul II. hierher gepilgert und hat an den Gräbern des hl. Ludwig Maria Grignion von
Montfort und der seligen Maria Louise von Jesus gebetet. (Rechts das Grab der beiden)


SCHREIBEN VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE ORDENSLEUTE DER MONFORTANISCHEN FAMILIEN

An die Ordensmänner und –frauen der Montfortanischen Familien
Ein klassischer Text der marianischen Spiritualität 

1. Vor 160 Jahren wurde ein Werk veröffentlicht, das dazu bestimmt war, ein Klassiker der marianischen Spiritualität zu werden. Der hl. Ludwig-Maria Grignion von Montfort schrieb zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Traktat über die wahre Marienverehrung, aber das Manuskript blieb über ein Jahrhundert lang völlig unbekannt. Als es beinahe zufällig im Jahr 1842 entdeckt und 1843 veröffentlicht wurde, hatte es einen großen Erfolg, weil es sich als ein außerordentlich wirksames Werk in der Verbreitung der »wahren Marienverehrung« erwies. Ich selbst schöpfte in meinen Jugendjahren großen Gewinn aus der Lektüre dieses Buches, denn darin »fand ich die Antwort auf meine Ratlosigkeit «, die auf der Furcht beruhte, daß die Verehrung für Maria und »ihre zu große Verbreitung schließlich den Vorrang der Verehrung, die Christus zukommt, gefährdeten« (Geschenk und Geheimnis, S. 37 ). Unter der weisen Führung des hl. Ludwig-Maria verstand ich, daß, wenn man das Geheimnis Marias in Christus lebt, diese Gefahr nicht besteht. Das mariologische Denken des Heiligen »wurzelt im trinitarischen Geheimnis und in der Wahrheit von der Menschwerdung des Wortes Gottes« (ebd.). 

Die Kirche hat seit ihren Anfängen und besonders in schwierigen Augenblicken eines der Leidensereignisse, über die Johannes berichtet, mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet: »Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich« (Joh 19,25–27). Das Volk Gottes hat im Lauf seiner Geschichte dieses Geschenk des gekreuzigten Jesus erfahren: das Geschenk seiner Mutter. Maria ist wirklich unsere Mutter, die uns auf unserem Pilgerweg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu einer immer engeren Vereinigung mit Christus, dem einzigen Erlöser und Mittler des Heils, führt (vgl. Konstitution Lumen gentium, 60 und 62). 

Auf meinem Bischofswappen, das symbolisch den vorgenannten Text aus dem Evangelium darstellt, ist der Wahlspruch Totus tuus zu lesen, der sich bekanntlich an der Lehre des hl. Ludwig- Maria Grignion von Montfort inspiriert (vgl. Geschenk und Geheimnis, S. 37–39; Rosarium Virginis Mariae, 15). Die beiden Worte bringen die vollkommene Zugehörigkeit zu Jesus durch Maria zum Ausdruck: »Tuus totus ego sum, et omnia mea tua sunt«, schreibt der hl. Ludwig- Maria. Und er übersetzt: »Mein Jesus, ich bin ganz dein, und alles, was mein ist, ist dein durch Maria, deine heilige Mutter« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 233). Die Lehre dieses Heiligen hat auf die Marienverehrung vieler Gläubigen und auf mein eigenes Leben einen tiefen Einfluß ausgeübt. Es handelt sich um eine gelebte Lehre von bemerkenswerter asketischer und mystischer Tiefe, und sie ist in einem lebendigen, leidenschaftlichen Stil geschrieben, der oft Bilder und Symbole verwendet. Seit der Zeit, als der hl. Ludwig-Maria lebte, und danach hat sich die marianische Theologie weiterentwickelt, vor allem durch den entscheidenden Beitrag des II. Vatikanischen Konzils. Heute ist also die montfortanische Lehre in der Sicht des Konzils zu verstehen und auszulegen, sie behält aber im wesentlichen ihre Gültigkeit.
In diesem Schreiben möchte ich mit Euch Ordensleuten der Montfortanischen Familien die Betrachtung über einige Abschnitte der Schriften des hl. Ludwig-Maria teilen, die uns in diesen schwierigen Augenblicken helfen mögen, unser Vertrauen auf die mütterliche Mittlerschaft der Mutter des Herrn zu nähren.

Ad Iesum per Mariam

2. Der hl. Ludwig-Maria bietet mit besonderer Eindringlichkeit die liebevolle Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung an. Die wahre Marienverehrung ist christozentrisch. In der Tat, so lehrt das II. Vatikanische Konzil, »indem die Kirche über Maria in frommer Erwägung nachdenkt und sie im Licht des menschgewordenen Wortes betrachtet, dringt sie verehrend in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung tiefer ein« (Konst. Lumen gentium, 65).
Die Liebe zu Gott durch die Vereinigung mit Jesus Christus ist das Ziel jeder wahren Frömmigkeit, »denn« – so schreibt der hl. Ludwig- Maria – »Jesus Christus ist der einzige Lehrer, der uns lehren soll; der einzige Herr, von dem wir abhängen sollen; das einzige Haupt, mit dem wir verbunden sein sollen; das einzige Vorbild, dem wir nacheifern sollen; der einzige Arzt, der uns heilen soll; der einzige Hirt, der uns Nahrung geben soll; der einzige Weg, der uns führen soll; die einzige Wahrheit, die wir glauben sollen; das einzige Leben, das uns erfüllen soll. Er ist das Ein und Alles, das uns genügen soll« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 61).

3. Die Verehrung der Jungfrau Maria ist ein bevorzugtes Mittel, »daß wir Christus vollkommen finden, ihn von ganzem Herzen lieben und ihm in Treue dienen« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 62). Dieser vorrangige Wunsch, »von ganzem Herzen zu lieben«, mündet in die leidenschaftliche Bitte an Jesus um die Gnade, an der unsagbaren Liebesgemeinschaft teilzuhaben, die zwischen Ihm und seiner Mutter besteht. Marias völlige Bezogenheit auf Christus und in Ihm auf die Heiligste Dreifaltigkeit kommt vor allem in den Worten zum Ausdruck: »Jedesmal, wenn du an Maria denkst, denkt sie für dich an Gott. Jedesmal, wenn du Maria lobst und ehrst, lobt und ehrt sie für dich den Herrn. Maria ist ganz auf Gott bezogen, und ich nenne sie gern die reine Gottesbeziehung, die nicht existiert, wenn nicht in Beziehung zu Gott; oder das Echo Gottes, das nichts anderes sagt und wiederholt als Gott. Wenn du ›Maria‹ sagst, sagt sie ›Gott‹. Elisabet lobte Maria und nannte sie selig, weil Maria geglaubt hatte. Maria, das treue Echo Gottes, antwortete: ›Meine Seele preist die Größe des Herrn‹ (Lk 1,46). Was Maria bei dieser Gelegenheit getan hat, tut sie immer. Wenn man sie lobt, liebt, ehrt oder ihr etwas schenkt, wird Gott gelobt, wird Gott geliebt, wird Gott geehrt und wird Gott gegeben: durch Maria und in Maria« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 225).
In einem Gebet an die Mutter des Herrn drückt der hl. Ludwig-Maria auch die trinitarische Dimension seiner Beziehung zu Gott aus: »Gegrüßet seist du, Maria, Tochter Gottes des Vaters. Gegrüßet seist du, Maria, Mutter Gottes des Sohnes. Gegrüßet seist du, Maria, Braut des Heiligen Geistes« (Das Geheimnis Marias, 68). Dieser traditionelle Ausdruck, der schon von Franz von Assisi verwendet wurde (vgl. Fonti Francescane, 281), jedoch ungleiche Ebenen der Analogie enthält, bringt sehr deutlich die besondere Teilhabe der Gottesmutter am Leben der Heiligsten Dreifaltigkeit zum Ausdruck.

4. Der hl. Ludwig-Maria betrachtet alle Geheimnisse, ausgehend von der Menschwerdung, die sich im Augenblick der Verkündigung ereignete. So erscheint Maria im Traktat über die wahre Marienverehrung als »das wahre irdische Paradies des neuen Adam« und als die »jungfräuliche, unbefleckte Erde«, aus der Er geformt wurde (Nr. 261). Sie ist auch die neue Eva, die dem neuen Adam im Gehorsam beigesellt ist, der den ursprünglichen Ungehorsam des Mannes und der Frau wiedergutmacht (vgl. ebd., 53; hl. Irenaeus, Adversus haereses, III, 21,10–22,4). Durch diesen Gehorsam tritt der Sohn Gottes in die Welt ein. Selbst das Kreuz ist schon geheimnisvoll gegenwärtig im Augenblick der Menschwerdung, im Augenblick der Empfängnis Jesu im Schoß Mariens. Denn das »ecce venio« des Hebräerbriefs (vgl. 10,5–9) ist der ursprüngliche Gehorsamsakt des Sohnes gegenüber dem Vater, das heißt, es ist schon die Annahme seines Erlösungsopfers, »wenn Er in die Welt kommt«.

»Unsere ganze Vollkommenheit besteht darin« – schreibt der hl. Ludwig-Maria Grignion von Montfort –, »Christus ähnlich, mit ihm vereint und ihm geweiht zu sein. Ohne Zweifel ist deshalb die vollkommenste Frömmigkeit diejenige, die uns am meisten Jesus Christus gleich werden läßt, mit ihm vereint und ihm weiht. Da nun aber Maria von allen Geschöpfen Christus am ähnlichsten ist, so folgt daraus, daß die Verehrung Marias, der Mutter Christi, uns am meisten ihm gleich werden läßt und ihm weiht. Je mehr wir also Maria geweiht sind, desto mehr sind wir auch Christus geweiht« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 120). Indem er sich an Jesus wendet, bringt Ludwig-Maria zum Ausdruck, wie einzigartig die Vereinigung zwischen dem Sohn und der Mutter ist: »Sie ist durch die Gnade so in dich verwandelt, daß sie nicht mehr selber lebt, nicht selber ist. Du allein, mein Jesus, lebst und herrschst in ihr … Wüßten die Christen, welche Liebe und Ehre du in diesem wunderbaren Geschöpf empfängst … Maria ist mit dir so tief verbunden … Denn sie liebt dich glühender und ehrt dich vollkommener als alle anderen Geschöpfe zusammen« (ebd., 63).

Maria, herausragendes Glied des mystischen Leibes und Mutter der Kirche

5. Nach den Worten des II. Vatikanischen Konzils wird Maria »auch als überragendes und völlig einzigartiges Glied der Kirche wie auch als ihr Typus und klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe« gewürdigt (Konst. Lumen gentium, 53). Die Mutter des Erlösers wurde in einzigartiger Weise in ihrer unbefleckten Empfängnis durch ihn erlöst, und sie ist uns in dem gläubigen und liebenden Hören des Wortes Gottes, das selig macht (vgl. ebd., 58), vorangegangen. Auch deshalb ist Maria »mit der Kirche auf das innigste verbunden. Die Gottesmutter ist, wie schon der hl. Ambrosius lehrte, der Typus der Kirche in der Ordnung des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus. Im Geheimnis der Kirche, die ja auch selbst zu Recht Mutter und Jungfrau genannt wird, ist die selige Jungfrau Maria vorangegangen, da sie in hervorragender und einzigartiger Weise das Urbild sowohl der Jungfrau wie der Mutter darstellt« (ebd., 63). Dasselbe Konzil betrachtet Maria als Mutter der Glieder Christi (vgl. ebd., 53; 62), und so hat Paul VI. sie zur Mutter der Kirche erklärt. Die Lehre vom mystischen Leib, die am deutlichsten die Verbindung Christi mit der Kirche ausdrückt, ist auch die biblische Grundlage dieser Aussage. »Haupt und Glieder werden von der gleichen Mutter geboren« (Die wahre Marienverehrung, 32), betont der hl. Ludwig-Maria. In diesem Sinn können wir sagen, daß die Glieder durch den Heiligen Geist mit Christus, dem Haupt, dem Sohn des Vaters und Mariens, so verbunden und ihm ähnlich sind, daß sie als »die wahren Kinder Gottes Gott zum Vater und Maria zur Mutter haben« (Das Geheimnis Marias, 11).
In Christus, dem eingeborenen Sohn, sind wir wirklich Kinder des Vaters und zugleich Kinder Marias und der Kirche. In der jungfräulichen Geburt Jesu wird in gewisser Weise die ganze Menschheit wiedergeboren. »Wir können auf Maria mit größerer Berechtigung anwenden, was Paulus von sich sagt: ›… meine Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt‹ (Gal 4,19). ›Täglich erleide ich Geburtswehen für die Kinder Gottes, bis Jesus Christus, mein Sohn, in seiner vollendeten Gestalt (Eph 4,13) in ihnen gebildet ist‹« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 33). Diese Lehre findet ihren schönsten Ausdruck in dem Gebet: »Heiliger Geist, gib mir eine große Verehrung für Maria, eine tiefe Zuneigung zu deiner Braut, Vertrauen in ihre mütterliche Liebe und den Willen, ihre Hilfe anzunehmen. Dann wirst du in mir Jesus heranbilden und mich ihm immer ähnlicher machen« (Das Geheimnis Marias, 67).
Eine der schönsten Aussagen der Spiritualität des hl. Ludwig-Maria Grignion von Montfort bezieht sich auf die Identifizierung des Gläubigen mit Maria in ihrer Liebe zu Jesus und ihrem Dienst für Jesus. In seiner Meditation über den bekannten Text des hl. Ambrosius: »Marias Seele möge in jedem Menschen sein, um den Herrn zu verherrlichen, Marias Geist möge in jedem sein, um Gott zu lobpreisen« (Expos. in Luc., 12,26: PL 15,1561), schreibt er: »Glücklich der Mensch, der ganz vom Geist Marias geleitet und bewohnt ist! Der Geist Marias ist mild und stark, eifrig und klug, demütig und mutig, rein und fruchtbar!« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 258). Die mystische Identifizierung mit Maria ist ganz auf Jesus ausgerichtet, wie es in folgendem Gebet heißt: »Meine Mutter, gib mir deinen Geist, daß ich Jesus Christus und seinen Willen erkenne wie du; gib mir deine Seele, daß ich den Herrn lobpreise; gib mir dein Herz, daß ich Gott von ganzem Herzen liebe wie du« (Das Geheimnis Marias, 68).

Heiligkeit ist Vollkommenheit der Liebe

6. In der Konstitution Lumen gentium heißt es: »Während die Kirche in der seligsten Jungfrau schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzel ist (vgl. Eph 5,27), bemühen sich die Christgläubigen noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen. Dabei richten sie ihre Augen auf Maria, die der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet« (Nr. 65). Die Heiligkeit ist die Vollkommenheit der Liebe, jener Liebe zu Gott und zum Nächsten, die Gegenstand des ersten Gebotes Jesu ist (vgl. Mt 22,38), und sie ist auch das größte Geschenk des Heiligen Geistes (vgl. 1 Kor 13,13). Also stellt der hl. Ludwig- Maria den Gläubigen dann in seinen Liedern die Einzigartigkeit der Liebe (Gesang 5), das Licht des Glaubens (Gesang 6) und die Festigkeit der Hoffnung (Gesang 7) vor.

In der montfortanischen Spiritualität kommt die Dynamik der Liebe besonders durch das Symbol des »Sklaven der Liebe« zu Jesus nach dem Beispiel und mit der mütterlichen Hilfe Marias zum Ausdruck. Es handelt sich um die volle Gemeinschaft mit der »kenosis« Christi; die Gemeinschaft, die mit Maria gelebt wird, die in den Geheimnissen des Lebens des Sohnes gegenwärtig ist. »Nichts bindet uns enger an Jesus Christus und seine heilige Mutter als diese freiwillige Ganzhingabe. Sie folgt ganz dem Beispiel Jesu, der aus Liebe zu uns ›wie ein Sklave wurde‹ (Phil 2,7), und dem Vorbild Marias, die gesagt hat: ›Ich bin die Magd des Herrn‹ (Lk 1,38). Der Apostel Paulus hat sich ›Knecht Jesu Christi‹ (Röm 1,1) genannt, und in der Heiligen Schrift werden die Christen öfters als ›Sklaven Christi‹ (1 Kor 7,22) bezeichnet« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 72). Der Sohn Gottes, der aus Gehorsam zum Vater durch die Menschwerdung in die Welt gekommen ist (vgl. Hebr 10,7), hat sich dann erniedrigt und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,7–8). Maria hat den Willen Gottes durch die völlige Selbsthingabe mit Leib und Seele für immer erfüllt, von der Verkündigung bis zum Kreuz und vom Kreuz bis zur Aufnahme in den Himmel. Sicher besteht zwischen dem Gehorsam Christi und dem Gehorsam Marias eine Asymmetrie, bedingt durch den ontologischen Unterschied zwischen der göttlichen Person des Sohnes und der menschlichen Person Marias. Daraus ergibt sich auch die Ausschließlichkeit der ursächlichen Heilswirksamkeit des Gehorsams Christi, aus der seine Mutter selbst die Gnade empfangen hat, in voller Weise Gott gehorchen und so an der Sendung ihres Sohnes mitwirken zu können.
Das »Sklaventum der Liebe« ist also im Licht des wunderbaren Tausches zwischen Gott und der Menschheit im Geheimnis des menschgewordenen Wortes zu verstehen. Es besteht ein wahrer Liebesaustausch zwischen Gott und seinem Geschöpf in der Gegenseitigkeit der Selbsthingabe. »Der Geist dieser Frömmigkeit besteht darin, sich innerlich ganz und gar von Maria und durch sie von Jesus abhängig zu machen« (vgl. Traktat über das Geheimnis Marias, 44). Paradoxerweise macht dieses »Liebesband «, diese »Liebessklaverei«, den Menschen ganz frei, durch die wahre Freiheit der Kinder Gottes (vgl. Traktat über die wahre Marienverehrung, 169). Es handelt sich darum, sich Jesus ganz zu überlassen und auf die Liebe Antwort zu geben, mit der er uns zuerst geliebt hat. Wer in dieser Liebe lebt, kann mit dem Apostel Paulus sprechen: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20).

Der Weg des Glaubens

7. In Novo millennio ineunte schrieb ich: »Zu Jesus gelangt man in der Tat nur durch den Weg des Glaubens« (Nr. 19). Genau das war der Weg, den Maria während ihres ganzen irdischen Lebens gegangen ist, und es ist der Weg der pilgernden Kirche bis zum Ende der Zeiten. Das II. Vatikanische Konzil bestand auf Marias Glauben, der von der Kirche auf geheimnisvolle Weise geteilt wird, und beleuchtete den Lebensweg der Gottesmutter von der Verkündigung an bis zum Augenblick des heilbringenden Leidens (vgl. Konst. Lumen gentium, 57 und 67; Enzyklika Redemptoris Mater, 25–27).
In den Schriften des hl. Ludwig-Maria finden wir den gleichen Akzent auf dem Glaubensweg der Mutter Jesu, der von der Menschwerdung bis zum Kreuz reicht; ein Glaube, für den Maria das Modell und der Urtyp der Kirche ist. Der hl. Ludwig-Maria bringt das in reichen Schattierungen zum Ausdruck, wenn er seinem Leser die »wunderbaren Auswirkungen« der vollkommenen Marienverehrung beschreibt: »Je mehr du dir das Wohlwollen dieser hohen Prinzessin und treuen Jungfrau erwirbst, um so mehr wird deine Lebensführung vom reinen Glauben inspiriert werden. Einem reinen Glauben, so daß du dich auch nicht darüber wundern wirst, wie empfindsam und einzigartig er ist. Es ist ein lebendiger, von der Nächstenliebe angeregter Glaube, der dich nur aus reiner Liebe handeln läßt. Ein felsenfester, unerschütterlicher Glaube, der dich auch bei Unwetter und Sturm feststehen und ausharren läßt. Ein tätiger und eindringlicher Glaube, der dich wie ein geheimnisvoller vielseitiger Schlüssel in alle Mysterien Jesu Christi, in die letzten Ziele des Menschen und in das Herz Gottes wird eindringen lassen. Ein mutiger Glaube, der dich große Dinge für Gott und für das Heil der Seelen wagen und zu Ende führen läßt. Ein Glaube schließlich, der deine brennende Fackel, dein göttliches Leben, dein verborgener Schatz der göttlichen Weisheit und deine allmächtige Waffe sein wird, mit der du alle erleuchten wirst, die in Finsternis und Todesschatten sind. Du wirst alle entflammen, die das glühende Gold der Nächstenliebe brauchen; du wirst denen Leben geben, die auf Grund der Sünde tot sind; du wirst durch deine milden und starken Worte die Herzen aus Stein und die Zedern des Libanon bewegen und erschüttern; und du wirst schließlich dem Satan und allen Feinden des Heils widerstehen« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 214).

Wie der hl. Johannes vom Kreuz legt der hl. Ludwig-Maria großes Gewicht auf die Reinheit des Glaubens und seine hauptsächliche und oft schmerzhafte Dunkelheit (vgl. Das Geheimnis Marias, 51–52). Es ist der kontemplative Glaube, der, indem er auf die spürbaren oder außerordentlichen Dinge verzichtet, in die geheimnisvolle Tiefe Christi eindringt. Der hl. Ludwig-Maria wendet sich deshalb mit folgenden Worten an die Mutter des Herrn: »Ich bitte dich nicht um Erscheinungen oder außergewöhnliche Erfahrungen oder geistige Freuden … Ich bin noch auf der Pilgerfahrt des Lebens und wünsche mir nur das eine, so zu leben, wie du gelebt hast: im reinen Glauben, ohne zu schauen und zu fühlen« (ebd., 69). Das Kreuz ist der höchste Augenblick des Glaubens von Maria, wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben habe: »Durch diesen Glauben ist Maria vollkommen mit Christus in seiner Entäußerung verbunden. … Dies ist vielleicht die tiefste ›kenosis‹ des Glaubens in der Geschichte des Menschen« (Nr. 18).

Zeichen der sicheren Hoffnung

8. Der Heilige Geist lädt Maria ein, sich in den Erwählten »neu zu bilden«, indem sie in ihnen die Wurzeln ihres »unbesiegbaren Glaubens«, aber auch ihrer »festen Hoffnung« ausbreitet (vgl. Traktat über die wahre Marienverehrung, 34). Das hat das II. Vatikanische Konzil in Erinnerung gerufen: »Wie die Mutter Jesu, im Himmel schon mit Leib und Seele verherrlicht, Bild und Anfang der in der kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche ist, so leuchtet sie auch hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn (vgl. 2 Petr 3,10) als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran« (68). Diese eschatologische Dimension wird vom hl. Ludwig-Maria besonders hervorgehoben, wenn er von den »Heiligen der Endzeit« spricht, die von der allerseligsten Jungfrau neu gebildet werden, um den Sieg Christi über die Mächte des Bösen in der Kirche zu erringen (vgl. Traktat über die wahre Marienverehrung, 49–59). Es handelt sich in keinster Weise um eine Art »Militarismus «, sondern um den tiefen Sinn des eschatologischen Wesens der Kirche, das an die heilbringende Einzigkeit und Universalität Jesu Christi gebunden ist. Die Kirche erwartet die glorreiche Wiederkunft Jesu am Ende der Zeiten. Die Heiligen sind wie Maria und mit Maria in der Kirche und für die Kirche da, um ihre Heiligkeit erstrahlen zu lassen und um das Werk Christi, des einzigen Erlösers, bis an die Grenzen der Welt und bis zum Ende der Zeiten auszubreiten.

In der Antiphon Salve Regina bezeichnet die Kirche die Gottesmutter als »unsere Hoffnung«. Derselbe Ausdruck wird vom hl. Ludwig-Maria verwandt, ausgehend von einem Text des hl. Johannes von Damaskus, der auf Maria das biblische Symbol des Ankers überträgt (vgl. Hom. I in Dorm. B.V.M., 14: PG 96,719): »Wir binden unsere Seelen an dich, unsere Hoffnung, wie an einen festen Anker. Die Heiligen, die gerettet sind, haben sich am engsten an Maria gebunden und andere zu ihr geführt, damit sie in der Tugend beständig blieben. Glücklich sind deshalb die Christen zu nennen, die sich jetzt treu und vollkommen an Maria binden wie an einen sicheren Anker« (Traktat über die wahre Marienverehrung, 175). Diese Marienverehrung führt dazu, daß Jesus selbst »durch ein heiliges Vertrauen in Gott die Herzen der Gläubigen weitmacht und sie Gott als guten Vater erfahren läßt« (vgl. ebd., 169).

Zusammen mit der seligsten Jungfrau Maria und ebenso mit dem Herzen einer Mutter betet die Kirche, hofft und tritt ein für das Heil aller Menschen. Der letzte Abschnitt der Konstitution Lumen gentium lautet: »Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, daß sie, die den Anfängen der Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt, im Himmel über alle Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit« (Nr. 69).
Indem ich diesen Wunsch wiederhole, den ich mit den anderen Konzilsvätern vor 40 Jahren ausgesprochen habe, erteile ich der ganzen Familie der Montfortaner den besonderen Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 2003, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria


Totus Tuus - Ganz Dein, Johannes Paul II., Basilika des hl. Ludwig Maria

Basilika des hl. Ludwig Maria von Montfort, Saint Laurent sur Sevre
Statue des hl. Ludwig Maria an der Fassade, Attribute Kreuz, Maria mit Kind,
Rosenkranz, 2 Tauben (viel Heiliger Geist)



Allmächtiger, ewiger Gott, in deiner Gnade
hat der heilige Priester Ludwig Maria Grignion
die vollkommene Hingabe an Christus, deinen Sohn,
durch die Hände seiner seligen Mutter
in herausragender Weise bezeugt und gelehrt.
Hilf auch uns, diesen geistlichen Weg zu gehen,
damit wir in der Welt mitwirken
an der Ausbreitung deines Reiches.
Darum bitten wir durch Jesus Christus