Jesus am Ölberg, rechts oben die Soldaten mit Judas, Stephansdom |
Nachdem
er den Abendmahlssaal verlassen hatte, zog er sich allein zurück, um im
Angesicht des Vaters zu beten. Die Evangelien berichten, dass Jesus in diesem
Augenblick tiefer Einheit von einer tiefen Angst heimgesucht wurde, von einem
Leiden, das ihn dazu brachte, Blut zu schwitzen (vgl. Mt 26, 38).
Im Wissen
um seinen nahenden Tod am Kreuz spürte Jesus eine große Furcht. In dieser
Situation zeigt sich auch ein Element von großer Bedeutung für die ganze
Kirche: Jesus sagt den Seinen: Bleibt hier, und wacht. Jesu Aufruf zur
Wachsamkeit bezieht sich sowohl auf diesen Moment der Angst als auch auf jenen
Moment der Bedrohung, in dem der Verräter erschien, und geht zudem die ganze
Kirchengeschichte an: Es handelt sich um eine andauernde Botschaft für alle
Zeiten, weil die Schläfrigkeit der Jünger nicht nur ein Problem jenes
Augenblicks war, sondern ein Problem der ganzen Geschichte ist. Die Frage
lautet: Worin besteht diese Schläfrigkeit, worin besteht diese Wachsamkeit, zu
der uns der Herr einlädt? Die Schläfrigkeit der Jünger entlang der Geschichte
ist eine bestimmte Unempfänglichkeit der Seele gegenüber der Macht des Bösen,
eine Unempfänglichkeit für alles Böse der Welt: Wir wollen uns nicht zu sehr
von diesen Dingen stören lassen. Es handelt sich dabei auch nicht nur um eine
Unempfänglichkeit gegenüber dem Bösen, von der wir einfach aufwachen müssten,
um das Gute zu tun und den Kampf des Guten zu kämpfen; es handelt sich vielmehr
um eine Unempfänglichkeit Gott gegenüber das ist unsere wahre Schläfrigkeit,
diese Unempfänglichkeit der Gegenwart Gottes gegenüber, die uns auch dem Bösen
gegenüber unempfänglich macht. Wir spüren Gott nicht, der uns nur stören würde,
und wir fühlen so natürlich auch nicht die Macht des Bösen und verbleiben auf
dem Weg unserer Bequemlichkeit.
Die
nächtliche Anbetung des Gründonnerstag, das Wachen für den Herrn, muss genau
der Zeitpunkt sein, der uns an die Schläfrigkeit der Jünger denken lässt, der
Begleiter Jesu, an die Apostel, an uns selber, die wir nicht sehen, die wir die
Macht des Bösen nicht sehen wollen und nicht in seinen Leidensweg eintreten
wollen für das Gute, für die Gegenwart Gottes in der Welt, für die Liebe zum
Nächsten und zu Gott.
Dann
beginnt der Herr zu beten. Die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes
schlafen, wachen aber ab und zu auf und hören das Gebet des Herrn: „Nicht mein
Wille, sondern dein Wille geschehe." Aber was ist mein Wille, was ist der
Wille des Herrn? Mein Wille ist, nicht sterben zu wollen, und dass dieser Kelch
des Leidens an mir vorübergehe. Das ist der Wille der menschlichen Natur, und
Christus fühlt ihn mit der ganzen Aufmerksamkeit des Daseins seines Lebens, den
Abgrund des Todes, den Terror des Nichts, dieses drohende Leiden.
Und er
fühlt es stärker als wir, die wir diese natürliche Abneigung dem Tod gegenüber
haben, diese natürliche Angst vor dem Tod; viel mehr als wir spürt er diesen
Schlund des Bösen und mit dem Tod auch das ganze Leiden der Menschheit, er
spürt, dass all dies der Kelch ist, den er jetzt trinken muss und den er
trinken wird, um das Böse der Welt anzunehmen, die ganze Abneigung gegen Gott,
die ganze Sünde.
Und wir
können wie Jesus verstehen, der mit seiner menschlichen Seele vor dieser
Wirklichkeit in Schrecken versetzt ist, die er in ihrer ganzen Brutalität
versteht. Mein Wille ist, den Kelch nicht trinken zu müssen. Aber der Willen
des Vaters ist auch der Wille des Sohnes. So verwandelt Jesus in diesem Gebet
die natürliche Abneigung gegen den Tod, die Abneigung gegen den Kelch, gegen
seine Mission, für uns zu sterben, er verwandelt seinen natürlichen Willen in
ein Ja zum Willen Gottes.
Der
Mensch für sich ist versucht, sich gegen den Willen Gottes zu stellen und
seinem Eigenwillen zu folgen, sich frei und autonom zu fühlen, seine Autonomie
gegen die Fremdgesetzlichkeit zu stellen, dem Willen Gottes folgen zu sollen.
Dies ist das ganze Drama der Menschheit. Aber in Wahrheit ist diese Autonomie
falsch, denn das Eintreten in den Willen Gottes ist keine Sklaverei, die meinem
eigenen Willen Gewalt antut, sondern ein Eintreten in die Wahrheit und in die
Liebe, in das Gute. Jesus zieht unseren Willen empor zum Willen Gottes und
vereint sich mit dem Willen des Vaters: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille
geschehe." In dieser Verwandlung des Nein ins Ja, in dieser Fügung des
kreatürlichen Willens in den Willen des Vaters verwandelt er die Menschheit und
erlöst uns; er lädt uns dazu ein, in diese seine Bewegung einzutreten: aus
unserem Nein zum Ja des Sohnes hinüberzugehen.
Mein
Wille besteht weiterhin, aber wichtiger ist der Wille des Vaters, denn er ist
die Wahrheit und die Liebe. Die drei Zeugen bewahrten in der Heiligen Schrift
die jüdisch-aramäischen Worte auf, mit denen der Herr zum Vater sprach. Er
nannte ihn „Abba" - „Vater". Aber diese Formel „Abba" ist eine
vertrauliche Form des Wortes „Vater", die nur in der Familie benutzt
wurde, aber niemals im Zusammenhang mit Gott. Hier sehen wir, dass Jesus in der
Familie spricht, als wirklicher Sohn zum Vater. Wir sehen das Geheimnis der
Dreifaltigkeit: der Sohn, der mit dem Vater spricht und die Menschheit erlöst.
(Benedikt XVI., das Ostertriduum, 20.3.2011)
Jakobus |
Petrus und Johannes schlafend |
Ölbergszene an der Fassade des Stephansdoms |
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