Mittwoch, 18. Oktober 2017

Lukas und das Gebet



Bekanntlich hat uns der hl. Lukas eines der vier Evangelien geschenkt, die dem irdischen Leben Jesu gewidmet sind. Er hat uns jedoch auch das hinterlassen, was als das erste Buch über die Kirchengeschichte bezeichnet wurde, die Apostelgeschichte.
Ein Element, das in diesen beiden Büchern immer wiederkehrt, ist das Gebet: das Gebet Jesu wie auch das Gebet Marias, der Jünger, der Frauen und der christlichen Gemeinde. Der beginnende Weg der Kirche ist vor allem geprägt vom Wirken des Heiligen Geistes, der die Apostel zu Zeugen des Auferstandenen macht, bis hin zum Blutvergießen, sowie von der raschen Verbreitung des Wortes Gottes nach Osten und nach Westen. 
(Papst Benedikt XVI., aus der Generalaudienz vom 14.3.2012)
 
Lukas mit dem Stiersymbol
Die Reliquien des Evangelisten Lukas in Padua

Lukas der Evangelist, Mosaik in der Helenakapelle, S. Croce in Gerusalemme



(...) In Jerusalem sind die Apostel, durch den Verrat des Judas Iskariot jetzt zu elft, im Haus versammelt, um zu beten, und im Gebet erwarten sie die vom auferstandenen Christus verheißene Gabe, den Heiligen Geist. In diesem Zusammenhang der Erwartung, zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, erwähnt der hl. Lukas zum letzten Mal Maria, die Mutter Jesu, und seine Brüder (V. 14). Maria hat er die Anfänge seines Evangeliums gewidmet, von der Verkündigung des Engels bis zur Geburt und Kindheit des menschgewordenen Sohnes Gottes. Mit Maria beginnt das irdische Leben Jesu, und mit Maria beginnen auch die ersten Schritte der Kirche; in beiden Augenblicken herrscht eine Atmosphäre des Hörens auf Gott, der inneren Sammlung.

Heute möchte ich daher bei der betenden Gegenwart der Jungfrau Maria in der Gruppe der Jünger verweilen, die die entstehende Kirche sind. Maria ist mit Zurückhaltung dem gesamten Weg ihres Sohnes in seinem öffentlichen Wirken gefolgt, bis unter das Kreuz, und jetzt folgt sie weiterhin im stillen Gebet dem Weg der Kirche. Bei der Verkündigung im Haus von Nazaret empfängt Maria den Engel Gottes, achtet auf seine Worte, nimmt sie an und antwortet auf den göttlichen Plan, indem sie ihre volle Bereitschaft zeigt: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (vgl. Lk 1,38). Gerade durch die innere Haltung des Hörens ist Maria in der Lage, die eigene Geschichte zu deuten, indem sie mit Demut erkennt, daß es der Herr ist, der handelt. Als sie ihre Verwandte Elisabet besucht, bricht sie in ein Gebet des Lobpreises und der Freude aus, der Feier der göttlichen Gnade, die ihr Herz und ihr Leben erfüllt und sie zur Mutter des Herrn gemacht hat (vgl. Lk 1,46–55). Lobpreis, Dank, Freude: Im Gesang des Magnifikat schaut Maria nicht nur auf das, was Gott in ihr gewirkt hat, sondern auch auf das, was er in der Geschichte vollbracht hat und weiterhin vollbringt. In einem berühmten Kommentar zum Magnifikat lädt der hl. Ambrosius ein, im Gebet denselben Geist zu haben, und schreibt: »In jeder Seele sei Marias Seele, daß sie ›groß mache den Herrn‹, in jeder sei der Geist Marias, daß er ›frohlocke in Gott‹«. (Expositio Evangelii secundum Lucam 2,26: PL 15,1561).

Auch im Abendmahlssaal in Jerusalem, im »Obergemach« wo die Jünger Jesu »nun ständig blieben« (vgl. Apg 1,13), in einer Atmosphäre des Hörens und des Gebets, ist sie gegenwärtig, bevor die Türen weit geöffnet werden und sie beginnen, Christus, den Herrn, allen Völkern zu verkündigen und sie zu lehren, alles zu befolgen, was er geboten hat (vgl. Mt 28,19–20). Die Abschnitte des Weges, den Maria gegangen ist – vom Haus in Nazaret über das Kreuz, wo der Sohn ihr den Apostel Johannes anvertraut, bis zum Haus in Jerusalem –, sind von der Fähigkeit geprägt, eine beharrliche Atmosphäre der inneren Sammlung zu wahren, um in der Stille ihres Herzens vor Gott über jedes Ereignis nachzudenken (vgl. Lk 2,19–51) und im Nachdenken vor Gott auch den Willen Gottes zu verstehen und fähig zu werden, ihn innerlich anzunehmen. Die Gegenwart der Muttergottes bei den Elf, nach der Himmelfahrt, ist also nicht einfach nur die historische Erwähnung von etwas Vergangenem, sondern sie gewinnt eine Bedeutung von großem Wert, weil sie mit ihnen das Kostbarste teilt, was es gibt: die lebendige Erinnerung an Jesus im Gebet.

Sie hat an dieser Sendung Jesu teil: die Erinnerung an Jesus zu wahren und so seine Gegenwart zu wahren. Zum letzten Mal wird Maria in den beiden Schriften des hl. Lukas am Sabbat erwähnt: dem Tag des Ruhens Gottes nach der Schöpfung, dem Tag der Stille nach dem Tod Jesu, in Erwartung seiner Auferstehung. Und darin wurzelt die Tradition des Mariensamstags. Zwischen der Himmelfahrt des Auferstandenen und dem ersten christlichen Pfingsten versammeln sich die Apostel und die Kirche mit Maria, um mit ihr auf die Gabe des Heiligen Geistes zu warten, ohne die man nicht zu Zeugen werden kann. Sie, die ihn bereits empfangen hat, um das fleischgewordene Wort hervorzubringen, teilt mit der ganzen Kirche die Erwartung eben dieser Gabe, damit im Herzen eines jeden Gläubigen »Christus Gestalt annimmt« (vgl. Gal 4,19). Wenn es ohne Pfingsten keine Kirche gibt, gibt es ohne die Mutter Jesu auch kein Pfingsten, denn sie hat auf einzigartige Weise das gelebt, was die Kirche jeden Tag unter dem Wirken des Heiligen Geistes erfährt. Der hl. Chromatius von Aquileia kommentiert die Bemerkung der Apostelgeschichte so: »Die Kirche versammelte sich also im Obergemach gemeinsam mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern. Man könnte sie nicht Kirche nennen, wenn nicht Maria zugegen wäre, die Mutter des Herrn. … Die Kirche Christi ist dort, wo die Menschwerdung Christi aus der Jungfrau verkündet wird; und wo die Apostel verkünden, die Brüder des Herrn, dort hört man das Evangelium« (Sermo 30,1: SC 164,135).

Das Zweite Vatikanische Konzil wollte in besonderer Weise die Verbindung hervorheben, die im gemeinsamen Beten Marias und der Apostel am selben Ort in Erwartung des Heiligen Geistes sichtbar zum Ausdruck kommt: »Da es aber Gott gefiel, das Sakrament des menschlichen Heils nicht eher feierlich zu verkünden, als bis er den verheißenen Heiligen Geist ausgegossen hatte, sehen wir die Apostel vor dem Pfingsttag ›einmütig in Gebet verharren mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern‹ (Apg 1,14) und Maria mit ihren Gebeten die Gabe des Geistes erflehen, der sie schon bei der Verkündigung überschattet hatte« (Nr. 59). Der bevorzugte Platz Marias ist die Kirche, wo »sie auch als überragendes und völlig einzigartiges Glied … wie auch als ihr Typus und klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe gegrüßt« wird (ebd., Nr. 53). Die Mutter Jesu in der Kirche zu verehren bedeutet daher, von ihr zu lernen, betende Gemeinschaft zu sein: Das ist einer der wesentlichen Züge der ersten Beschreibung der christlichen Gemeinde, die in der Apostelgeschichte aufgezeigt wird (vgl. 2,42). Oft ist das Gebet bestimmt von schwierigen Situationen, von persönlichen Problemen, durch die man sich dem Herrn zuwendet, um Licht, Trost und Hilfe zu empfangen. Maria lädt ein, alle Aspekte des Gebets aufzutun, sich nicht nur in der Not und nicht nur für sich selbst an Gott zu wenden, sondern einmütig, beharrlich, treu: »ein Herz und eine Seele« (Apg 4,32).

Liebe Freunde, das menschliche Leben macht verschiedene Übergangsphasen durch, die oft schwierig und anspruchsvoll sind, die unaufschiebbare Entscheidungen, Verzicht und Opfer verlangen. Die Mutter Jesu wurde vom Herrn in entscheidende Augenblicke der Heilsgeschichte gestellt und hat es immer verstanden, mit voller Bereitschaft zu antworten, Frucht einer tiefen Verbindung mit Gott, die im unablässigen und tiefen Gebet herangereift ist. Zwischen dem Freitag des Leidens und dem Sonntag der Auferstehung wurde ihr der Jünger anvertraut, den Jesus liebte, und mit ihm die ganze Gemeinschaft der Jünger (vgl. Joh 19,26). Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten befindet sie sich »mit« und »in« der Kirche im Gebet (vgl. Apg 1,14).
(Papst Benedikt XVI., w.o.)

Maria mit Kind, S. Croce in Gerusalemme, Rom

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