Martin teilt seinen Mantel mit dem Bettler, Glasmalerei um 1300, Saint Gatien, Tours |
Einmal, er besaß schon nichts mehr als seine Waffen und ein
einziges Soldatengewand, da begegnete ihm im Winter, der ungewöhnlich rauh war,
so daß viele der eisigen Kälte erlagen, am Stadttor von Amiens ein notdürftig bekleideter Armer. Der flehte die
Vorübergehenden um Erbarmen an. Aber alle gingen an dem Unglücklichen vorbei.
Da erkannte der Mann voll des Geistes Gottes, daß jener für ihn vorbehalten
sei, weil die andern kein Erbarmen übten. Doch was tun? Er trug nichts als den
Soldatenmantel, den er umgeworfen, alles Übrige hatte er ja für ähnliche Zwecke
verwendet.
Er zog also das Schwert, mit dem er umgürtet war, schnitt den Mantel
mitten durch und gab die eine Hälfte dem Armen, die andere legte er sich selbst
wieder um. Da fingen manche der Umstehenden an zu lachen, weil er im halben
Mantel ihnen verunstaltet vorkam. Viele aber, die mehr Einsicht besaßen,
seufzten tief, daß sie es ihm nicht gleich getan und den Armen nicht bekleidet
hatten, zumal sie bei ihrem Reichtum keine Blöße befürchten mußten.
In der
folgenden Nacht nun erschien Christus mit jenem Mantelstück, womit der Heilige
den Armen bekleidet hatte, dem Martinus im Schlafe. Er wurde aufgefordert, den
Herrn genau zu betrachten und das Gewand, das er verschenkt hatte, wieder zu
erkennen. Dann hörte er Jesus laut zu der Engelschar, die ihn umgab, sagen:
"Martinus, obwohl erst Katechumen, hat mich mit diesem Mantel
bekleidet". Eingedenk der Worte, die er einst gesprochen: "Was immer
ihr einem meiner Geringsten getan, habt ihr mir getan", erklärte der Herr, daß er im Armen das Gewand
bekommen habe. Um das Zeugnis eines so guten Werkes zu bekräftigen, würdigte er
sich in dem Gewände, das der Arme empfangen hatte, zu erscheinen.
Trotz dieser
Erscheinung verfiel der selige Mann doch nicht menschlicher Ruhmsucht, vielmehr
erkannte er in seiner Tat das gütige Walten Gottes und beeilte sich,
achtzehnjährig, die Taufe zu empfangen. Er entsagte jedoch dem Heeresdienst
noch nicht sogleich, da er den Bitten seines Tribuns nachgab, mit dem er in
vertrauter Kameradschaft zusammenlebte. Denn jener versprach, nach Ablauf
seiner Dienstzeit als Tribun der Welt den Rücken zu kehren. Durch diese Zusage
ließ sich Martinus bestimmen, noch ungefähr zwei Jahre lang nach seiner Taufe, freilich nur dem Namen
nach, zu dienen
(Vita sancti Martini, 3)
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