Montag, 10. Juni 2019

Im Sturm und im Feuer

Pfingsten, Herz-Jesu-Basilika, Koekelberg, Brüssel


Liebe Brüder und Schwestern! 

Jedesmal, wenn wir Eucharistie feiern, leben wir im Glauben das Geheimnis, das sich auf dem Altar vollzieht, das heißt wir haben Anteil am höchsten Akt der Liebe, den Christus mit seinem Tod und seiner Auferstehung verwirklicht hat. Der eine und einzige Mittelpunkt der Liturgie und des christlichen Lebens – das Ostergeheimnis – nimmt dann an den verschiedenen Hochfesten und Festtagen spezifische »Formen« mit weiteren Bedeutungen und besonderen Gnadengaben an.

Unter allen Hochfesten zeichnet sich Pfingsten durch seine Bedeutsamkeit aus, da an ihm das Wirklichkeit wird, was Jesus selbst als den Zweck seiner gesamten Sendung auf Erden verkündet hat. Während er nämlich nach Jerusalem hinaufstieg, hatte er den Jüngern erklärt: »Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!« (Lk 12,49). Diese Worte finden ihre augenscheinlichste Verwirklichung fünfzig Tage nach der Auferstehung, an Pfingsten, dem alten jüdischen Fest, das in der Kirche zum Fest des Heiligen Geistes schlechthin geworden ist: »Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer… Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt« (Apg 2,3–4).
Das wahre Feuer, der Heilige Geist, ist von Christus in die Welt gebracht worden. Er hat es nicht den Göttern entrissen, so wie es nach dem griechischen Mythos Prometheus tat, sondern er ist zum Vermittler der »Gabe Gottes« geworden, indem er sie für uns durch die größte Liebestat der Geschichte erlangt hat: durch seinen Tod am Kreuz.

Gott will dieses »Feuer« weiterhin allen Generationen von Menschen schenken, und natürlich ist er frei, dies zu tun, wie und wann er will. Er ist Geist, und der Geist »weht, wo er will« (vgl. Joh 3,8). Es gibt jedoch einen »normalen Weg«, den Gott selbst gewählt hat, um »Feuer auf die Erde zu werfen«: Dieser Weg ist Jesus, sein eingeborener Sohn, der Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist. Jesus Christus hat dann die Kirche als seinen Leib eingesetzt, damit sie seine Sendung in der Geschichte weiterführe. »Empfangt den Heiligen Geist!«, sagte der Herr zu den Aposteln am Abend seiner Auferstehung und begleitete diese Worte mit einer ausdrucksvollen Geste: er »hauchte« sie an (vgl. Joh 20,22). So zeigte er, daß er ihnen seinen Geist weitergab, den Geist des Vaters und des Sohnes. Nun, liebe Brüder und Schwestern, sagt uns die Schrift am heutigen Hochfest erneut, wie die Gemeinde sein soll, wie wir sein sollen, um die Gabe des Heiligen Geistes zu empfangen.
Im Bericht, der das Pfingstgeschehen beschreibt, ruft der biblische Autor in Erinnerung, daß die Jünger »sich alle am gleichen Ort befanden«. Dieser »Ort« ist der Abendmahlssaal, »das Obergemach«, wo Jesus zusammen mit seinen Aposteln das Letzte Abendmahl gehalten hatte, wo er ihnen als der Auferstandene erschienen war; jener Raum, der sozusagen der »Sitz« der entstehenden Kirche geworden war (vgl. Apg 1,13). Mehr als die Betonung eines physischen Ortes beabsichtigt die Apostelgeschichte jedoch, die innere Haltung der Jünger hervorzuheben: »Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet« (Apg, 1,14). Die Einmütigkeit der Jünger also ist die Bedingung dafür, daß der Heilige Geist kommt; und die Voraussetzung der Eintracht ist das Gebet.

Dies, liebe Brüder und Schwestern, gilt auch für die Kirche von heute, es gilt für uns, die wir hier versammelt sind. Wenn wir wollen, daß Pfingsten nicht nur zu einem Ritus oder zu einer wenn auch suggestiven Gedenkfeier wird, sondern ein aktuelles Heilsereignis ist, müssen wir uns in frommer Erwartung der Gabe Gottes in demütigem und stillem Hören seines Wortes sammeln. Damit Pfingsten in unserer Zeit erneuert werde, muß die Kirche – ohne der Freiheit Gottes etwas zu nehmen –, vielleicht weniger »atemlos« aufgrund ihrer Aktivitäten und mehr dem Gebet hingegeben sein.

Dies lehrt uns die Mutter der Kirche, die allerseligste Jungfrau Maria, Braut des Heiligen Geistes.(....)

Die Apostelgeschichte verwendet im Pfingstbericht zwei großartige Bilder für den Heiligen Geist: das Bild des Sturmes und das Bild des Feuers. Der hl. Lukas hat sicherlich die Theophanie auf dem Sinai vor Augen, von der in den Büchern des Exodus (19,16–19) und Deuteronomium (4,10–12.36) die Rede ist. Die antike Welt sah den Sturm als Zeichen der göttlichen Macht, angesichts derer sich der Mensch unterjocht und von Furcht ergriffen fühlte. Ich möchte aber auch einen weiteren Aspekt hervorheben: Der Sturm wird als ein »Brausen« beschrieben, und dies läßt an die Luft denken, durch die sich unser Planet von den anderen Himmelskörpern unterscheidet und die es uns gestattet, auf ihm zu leben. Das, was die Luft für das biologische Leben ist, ist der Heilige Geist für das geistliche Leben; und wie es eine Luftverschmutzung gibt, die die Umwelt und die Lebewesen vergiftet, so gibt es eine Verschmutzung des Herzens und des Geistes, die dem geistlichen Leben die Lebenskraft nimmt und es vergiftet. Genauso wie man sich nicht an die Gifte in der Luft gewöhnen darf – und aus diesem Grund stellt das ökologische Engagement heute eine Priorität dar –, müßte man handeln bei dem, was den Geist verdirbt. Es hat hingegen den Anschein, daß man sich problemlos an die vielen den Sinn und das Herz verschmutzenden Produkte gewöhnt, die in unserer Gesellschaft in Umlauf sind – zum Beispiel Bilder, die die Lust, die Gewalt oder die Geringschätzung von Mann und Frau zum Spektakel machen. Auch das ist Freiheit, so wird gesagt, ohne dabei zu erkennen, daß all dies vor allem die neuen Generationen verschmutzt und vergiftet und damit endet, deren Freiheit einzuschränken. Die Metapher vom heftigen Sturm an Pfingsten läßt daran denken, wie wertvoll es hingegen ist, reine Luft zu atmen, sowohl mit der Lunge die physische Luft als auch mit dem Herzen die geistliche Luft, die heilende Luft des Geistes, der die Liebe ist!

Das andere Bild des Heiligen Geistes, das wir in der Apostelgeschichte finden, ist das Feuer. Ich erwähnte eingangs kurz die Gegenüberstellung von Jesus und der mythologischen Gestalt des Prometheus, der auf einen charakteristischen Aspekt des modernen Menschen verweist. Nachdem er sich der Energien des Kosmos – des »Feuers« – bemächtigt hat, scheint der Mensch heute sich selbst als Gott zu setzen und die Welt verwandeln zu wollen, indem er den Schöpfer des Universums ausschließt, beiseite schiebt oder gar ablehnt. Der Mensch will nicht mehr Ebenbild Gottes sein, sondern Ebenbild seiner selbst; er erklärt sich für unabhängig, frei, erwachsen. Eine derartige Haltung legt offensichtlich eine unechte Beziehung zu Gott an den Tag, Folge eines falschen Bildes, das man sich von ihm geschaffen hat, wie der verlorene Sohn des Gleichnisses aus dem Evangelium, der meint, sich selbst dadurch zu verwirklichen, daß er vom Haus des Vaters fortgeht. In den Händen eines derartigen Menschen werden das »Feuer« und dessen enorme Potentialitäten zur Gefahr: sie können sich gegen das Leben und die Menschheit selbst wenden, wie leider die Geschichte zeigt. Immerwährende Mahnung bleiben die Tragödien von Hiroshima und Nagasaki, wo die zu Kriegszwecken verwandte Kernenergie schließlich Tod in beispiellosen Ausmaßen säte.
Tatsächlich könnte man in der alltäglichen Wirklichkeit viele, wenn auch weniger schwere, aber gleichwohl symptomatische Beispiele finden.
Die Heilige Schrift offenbart uns, daß die Kraft, die in der Lage ist, die Welt zu bewegen, keine namenlose und blinde Kraft ist, sondern das Wirken des »Geistes Gottes«, der zu Beginn der Schöpfung »über dem Wasser schwebte« (vgl. Gen 1,2). Und Jesus Christus hat nicht eine Lebensenergie »auf die Erde gebracht«, die es dort schon gab, sondern den Heiligen Geist, das heißt die Liebe Gottes, die »das Antlitz der Erde erneuert«, indem sie sie vom Übel reinigt und von der Herrschaft des Todes befreit (vgl. Ps 104, 29–30). Dieses reine, wesentliche und personale »Feuer«, das Feuer der Liebe, ist auf die mit Maria im Gebet versammelten Apostel im Abendmahlssaal herabgekommen, um das Erneuerungswerk Christi durch die Kirche fortzusetzen.

Schließlich ist dem Bericht der Apostelgeschichte noch ein letzter Gedanke zu entnehmen: Der Heilige Geist besiegt die Furcht. Wir wissen, daß sich die Jünger nach der Gefangennahme ihres Meistes in den Abendmahlssaal geflüchtet haben und dort in Abgeschiedenheit ausharrten aus Angst, dasselbe Schicksal zu erleiden wie er. Nach der Auferstehung Jesu verschwand diese ihre Angst nicht plötzlich. Aber dann, an Pfingsten, als der Heilige Geist auf sie herabkam, gingen diese Männer furchtlos hinaus und begannen, allen die frohe Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Christus zu verkündigen. Sie hatten nicht die geringste Angst, da sie sich in den Händen des Stärkeren wußten. Ja, liebe Brüder und Schwestern, wo der Geist Gottes eintritt, dort verjagt er die Angst; er läßt uns erkennen und spüren, daß wir in den Händen einer Allmacht der Liebe sind: Was auch immer geschehen mag, seine unendliche Liebe verläßt uns nicht. Dies zeigt das Zeugnis der Märtyrer, der Mut der Bekenner des Glaubens, der unerschrockene Elan der Missionare, der Freimut der Prediger, das Vorbild aller Heiligen, von denen einige sogar erst Heranwachsende und Kinder waren. Ein Beweis dafür ist die Existenz der Kirche selbst, die trotz aller Grenzen und Schuld der Menschen weiter den Ozean der Geschichte überquert, angetrieben vom Hauch Gottes und beseelt von seinem reinigenden Feuer. In diesem Glauben und in dieser freudvollen Hoffnung wiederholen wir heute mit der Fürsprache Mariens: »Herr, sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu!«.
(Papst Benedikt XVI., Pfingstsonntag 2009, 31. Mai)

Pfingstmontag: Maria, Mutter der Kirche

Marienkapelle, Herz-Jesu-Basilika von Koekelberg

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