Donnerstag, 18. April 2019

Dein Wille geschehe

Jesus am Ölberg, rechts oben die Soldaten mit Judas, Stephansdom


Nachdem er den Abendmahlssaal verlassen hatte, zog er sich allein zurück, um im Angesicht des Vaters zu beten. Die Evangelien berichten, dass Jesus in diesem Augenblick tiefer Einheit von einer tiefen Angst heimgesucht wurde, von einem Leiden, das ihn dazu brachte, Blut zu schwitzen (vgl. Mt 26, 38).

Im Wissen um seinen nahenden Tod am Kreuz spürte Jesus eine große Furcht. In dieser Situation zeigt sich auch ein Element von großer Bedeutung für die ganze Kirche: Jesus sagt den Seinen: Bleibt hier, und wacht. Jesu Aufruf zur Wachsamkeit bezieht sich sowohl auf diesen Moment der Angst als auch auf jenen Moment der Bedrohung, in dem der Verräter erschien, und geht zudem die ganze Kirchengeschichte an: Es handelt sich um eine andauernde Botschaft für alle Zeiten, weil die Schläfrigkeit der Jünger nicht nur ein Problem jenes Augenblicks war, sondern ein Problem der ganzen Geschichte ist. Die Frage lautet: Worin besteht diese Schläfrigkeit, worin besteht diese Wachsamkeit, zu der uns der Herr einlädt? Die Schläfrigkeit der Jünger entlang der Geschichte ist eine bestimmte Unempfänglichkeit der Seele gegenüber der Macht des Bösen, eine Unempfänglichkeit für alles Böse der Welt: Wir wollen uns nicht zu sehr von diesen Dingen stören lassen. Es handelt sich dabei auch nicht nur um eine Unempfänglichkeit gegenüber dem Bösen, von der wir einfach aufwachen müssten, um das Gute zu tun und den Kampf des Guten zu kämpfen; es handelt sich vielmehr um eine Unempfänglichkeit Gott gegenüber das ist unsere wahre Schläfrigkeit, diese Unempfänglichkeit der Gegenwart Gottes gegenüber, die uns auch dem Bösen gegenüber unempfänglich macht. Wir spüren Gott nicht, der uns nur stören würde, und wir fühlen so natürlich auch nicht die Macht des Bösen und verbleiben auf dem Weg unserer Bequemlichkeit.

Die nächtliche Anbetung des Gründonnerstag, das Wachen für den Herrn, muss genau der Zeitpunkt sein, der uns an die Schläfrigkeit der Jünger denken lässt, der Begleiter Jesu, an die Apostel, an uns selber, die wir nicht sehen, die wir die Macht des Bösen nicht sehen wollen und nicht in seinen Leidensweg eintreten wollen für das Gute, für die Gegenwart Gottes in der Welt, für die Liebe zum Nächsten und zu Gott.

Dann beginnt der Herr zu beten. Die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes schlafen, wachen aber ab und zu auf und hören das Gebet des Herrn: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe." Aber was ist mein Wille, was ist der Wille des Herrn? Mein Wille ist, nicht sterben zu wollen, und dass dieser Kelch des Leidens an mir vorübergehe. Das ist der Wille der menschlichen Natur, und Christus fühlt ihn mit der ganzen Aufmerksamkeit des Daseins seines Lebens, den Abgrund des Todes, den Terror des Nichts, dieses drohende Leiden.

Und er fühlt es stärker als wir, die wir diese natürliche Abneigung dem Tod gegenüber haben, diese natürliche Angst vor dem Tod; viel mehr als wir spürt er diesen Schlund des Bösen und mit dem Tod auch das ganze Leiden der Menschheit, er spürt, dass all dies der Kelch ist, den er jetzt trinken muss und den er trinken wird, um das Böse der Welt anzunehmen, die ganze Abneigung gegen Gott, die ganze Sünde.

Und wir können wie Jesus verstehen, der mit seiner menschlichen Seele vor dieser Wirklichkeit in Schrecken versetzt ist, die er in ihrer ganzen Brutalität versteht. Mein Wille ist, den Kelch nicht trinken zu müssen. Aber der Willen des Vaters ist auch der Wille des Sohnes. So verwandelt Jesus in diesem Gebet die natürliche Abneigung gegen den Tod, die Abneigung gegen den Kelch, gegen seine Mission, für uns zu sterben, er verwandelt seinen natürlichen Willen in ein Ja zum Willen Gottes.
Der Mensch für sich ist versucht, sich gegen den Willen Gottes zu stellen und seinem Eigenwillen zu folgen, sich frei und autonom zu fühlen, seine Autonomie gegen die Fremdgesetzlichkeit zu stellen, dem Willen Gottes folgen zu sollen. Dies ist das ganze Drama der Menschheit. Aber in Wahrheit ist diese Autonomie falsch, denn das Eintreten in den Willen Gottes ist keine Sklaverei, die meinem eigenen Willen Gewalt antut, sondern ein Eintreten in die Wahrheit und in die Liebe, in das Gute. Jesus zieht unseren Willen empor zum Willen Gottes und vereint sich mit dem Willen des Vaters: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe." In dieser Verwandlung des Nein ins Ja, in dieser Fügung des kreatürlichen Willens in den Willen des Vaters verwandelt er die Menschheit und erlöst uns; er lädt uns dazu ein, in diese seine Bewegung einzutreten: aus unserem Nein zum Ja des Sohnes hinüberzugehen.

Mein Wille besteht weiterhin, aber wichtiger ist der Wille des Vaters, denn er ist die Wahrheit und die Liebe. Die drei Zeugen bewahrten in der Heiligen Schrift die jüdisch-aramäischen Worte auf, mit denen der Herr zum Vater sprach. Er nannte ihn „Abba" - „Vater". Aber diese Formel „Abba" ist eine vertrauliche Form des Wortes „Vater", die nur in der Familie benutzt wurde, aber niemals im Zusammenhang mit Gott. Hier sehen wir, dass Jesus in der Familie spricht, als wirklicher Sohn zum Vater. Wir sehen das Geheimnis der Dreifaltigkeit: der Sohn, der mit dem Vater spricht und die Menschheit erlöst. 

In diesem Drama in Getsemani verwirklicht Jesus auch das Amt des Hohenpriesters, denn der Hohepriester muss das menschliche Wesen mit allen seinen Problemen und Leiden zur Hoheit Gottes tragen. Gerade in diesem Drama von Getsemani, wo auch die Macht Gottes nicht mehr anwesend zu sein scheint, verwirklicht Jesus die Funktion des Hohenpriesters, und gerade so öffnet er den Himmel und das Tor der Erlösung. So unterscheidet sich Jesus auch mit seinem Leiden und seiner Angst von dem großen Philosophen Sokrates, der friedlich und ohne Aufregung in den Tod ging. Wir können diesen Philosophen bewundern, aber die Mission Jesu war eine andere: Seine Mission war es, unser Leiden in sich aufzunehmen, das ganze Menschheitsdrama. Denn gerade diese Verdemütigung von Getsemani ist für die Mission des Gott-Menschen wesentlich. Sie trägt in sich unser Leiden, unsere Armut, und verwandelt sie dem Willen Gottes entsprechend: So öffnet er die Tore des Himmels, er öffnet den Himmel im Streben zum Allerheiligsten, das bisher Gott dem Menschen verschloss und nun durch sein Leiden und sein Gehorsam offen steht.

(Benedikt XVI., das Ostertriduum, 20.3.2011)

Jakobus

Petrus und Johannes schlafend

Ölbergszene an der Fassade des Stephansdoms

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