![]() |
| Basilika des hl. Ägidius, Bardejov, Slowakei |
Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas 1
In jener Zeit
46 sagte Maria:
Meine Seele preist die Größe des Herrn
47 und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
48 Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
49 Denn der Mächtige hat Großes an mir getan
und sein Name ist heilig.
50 Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
51 Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
52 er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
53 Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen,
55 das er unsern Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
56 Und Maria blieb etwa drei Monate bei Elisabet;
dann kehrte sie nach Hause zurück.
(Evangelium vom 22. Dezember)
![]() |
| Heimsuchung Mariä, |
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Wir sind am Ende der langen Reise angelangt, die vor genau fünf Jahren von
meinem geliebten Vorgänger, dem unvergesslichen Papst Johannes Paul II.,
begonnen wurde. Der große Papst wollte in seinen Katechesen die gesamte Abfolge
der Psalmen und Cantica durchgehen, die das Gewebe der grundlegenden Gebete aus
dem Stundengebet und der Vesper bilden. Am Ziel dieser Wallfahrt durch diese
Texte angelangt, die wie eine Reise durch den Blumengarten des Lobes, der
Anrufung, des Gebetes und der Kontemplation ist, wollen wir jetzt jenem Gesang
Raum geben, der jede Vesperfeier besiegelt: dem "Magnifikat" (Lk
1,46-55).
Es ist ein Lied, das die Spiritualität der biblischen "anawim" offen
legt, das heißt jener Gläubigen, die sich selbst als "Niedrige" erkannten
– nicht nur wegen der Abneigung von jeder Vergötterung von Reichtum und Macht,
sondern auch wegen der tiefen Demut des Herzens, frei von der Versuchung des
Stolzes, offen für die erlösende göttliche Gnade. Das ganze
"Magnifikat", das wir gerade in der Interpretation des Chors der
Sixtinischen Kapelle gehört haben, ist durch diese "Niedrigkeit"
charakterisiert, auf Griechisch "tapeinosis", womit eine Situation
konkreter Demut und Armut gemeint ist.
2. Der erste Satz des Marienlieds (vgl. Lk 1,46-50) ist wie eine Art
Sologesang, in dem die Solistin ihre Stimme zum Himmel erhebt, bis diese zum
Herrn dringt. Es ist tatsächlich auffallend, wie oft hier die erste Person
verwendet wird: "meine Seele, mein Geist, mein Retter; sie werden mich
selig preisen, er hat Großes an mir getan…" Die Seele des Gebetes ist
somit die Feier der göttlichen Gnade, die in das Herz und die Existenz von
Maria Einzug gehalten und sie zur Mutter des Herrn gemacht hat. Wir hören die
Stimme der Jungfrau, die genau auf diese Weise von ihrem Retter spricht, der
große Dinge an ihrer Seele und an ihrem Leib vollbracht hat.
Die innere Struktur ihres Gebetsgesangs ist Lob, Danksagung, dankbare Freude.
Aber dieses persönliche Zeugnis ist nicht einzelgängerisch und privat, bloß
individualistisch, denn die Jungfrau und Mutter ist sich dessen bewusst, dass
sie einen Auftrag hat, den sie für die Menschheit erfüllen muss, und dass ihr
Leben in der Heilsgeschichte eingebettet ist. So kann sie sagen: "Er
erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten"
(Vers 50). Mit diesem Lobpreis auf den Herrn verleiht die Jungfrau ihre Stimme
allen Geschöpfen, die nach ihrem "Fiat" erlöst worden sind und die in
der Gestalt Jesu, geboren von der Jungfrau, das Erbarmen Gottes entdecken.
3. An diesem Punkt angelangt, entwickelt sich der poetische und spirituelle
zweite Satz des "Magnifikat" (vgl. Verse 51-55). Es hat den Ton eines
Chores, so als würden sich der Stimme Mariens die Stimmen der ganzen
Gläubigengemeinschaft anschließen, die die überraschenden Entscheidungen Gottes
feiern. Im griechischen Original des Lukasevangeliums finden wir sieben Verben
im Aorist, die viele andere Taten bezeichnen, die der Herr andauernd in der
Geschichte wirkt: Er vollbringt machtvolle Taten, zerstreut die Hochmütigen,
stürzt die Mächtigen vom Thron, erhöht die Niedrigen, beschenkt die Hungernden
mit seinen Gaben, lässt die Reichen leer ausgehen, nimmt sich Israels an.
In diesen sieben göttlichen Werken tritt der "Stil" offen zutage, an
dem der Herr der Geschichte sein Verhalten inspiriert: Er stellt sich auf die
Seite der Geringsten. Häufig bleibt sein Projekt unter dem opaken Terrain der
menschlichen Wandels verborgen, in dem diejenigen, "die im Herzen voll
Hochmut sind", "die Mächtigen sowie die Reichen triumphieren.
Allerdings ist es bestimmt, dass sich seine geheime Stärke zum Schluss
manifestiert, um zu zeigen, wer die wahren Lieblinge Gottes sind: Diejenigen,
die seinem Wort treu sind, die Niedrigen, die Hungernden, sein Knecht Israel,
das heißt die Gemeinschaft des Wortes Gottes, die – wie Maria – aus denjenigen
besteht, die im Herzen arm, rein und einfach sind. Sie bilden diese 'kleine
Herde', die dazu eingeladen ist, sich nicht zu fürchten, da es dem Vater
Wohlgefallen bereitet, ihr sein Reich zu schenken (vgl. Lk 12,32). Auf diese
Weise lädt uns dieses Lied dazu ein, uns dieser kleinen Herde anzuschließen und
wirklich Glieder des Volkes Gottes zu sein – in der Reinheit und der
Einfachheit des Herzens, in der Liebe Gottes.
4. Nehmen wir also die Einladung an, die der heilige Ambrosius in seinem
Kommentar zum "Magnifikat" an uns richtet. Der große Kirchenlehrer
mahnt: "Möge in jedem das Herz Mariens über den Herrn frohlocken, möge in
jedem der Geist Mariens den Herrn lobpreisen; Ja, gemäß dem Fleisch hat
Christus nur eine Mutter, gemäß dem Glauben bringen alle Seelen Christus
hervor; jede einzelne nimmt tatsächlich das Wort Gottes in sich auf… Die Seele
Mariens lobt den Herrn, und ihr Geist jubelt in Gott, denn mit ihrer Seele und
mit ihrem Geist, die dem Vater und dem Sohn geweiht sind, betet sie mit frommer
Liebe nur einen Gott an, aus dem alles hervorgeht, und nur einen Herrn, kraft
dessen alle Dinge existieren" ("Kommentar zum Evangelium nach
Lukas" – "Esposizione del Vangelo secondo Luca" –, 2,26-27:
Saemo, XI, Mailand-Rom 1978, 169).
In diesem wundervollen Kommentar des "Magnifikat" vom heiligen
Ambrosius beeindruckt mich immer dieses überraschende Wort: "Ja, gemäß dem
Fleisch hat Christus nur eine Mutter, gemäß dem Glauben bringen alle Seelen Christus
hervor; jede einzelne nimmt tatsächlich das Wort Gottes in sich auf." Auf
diese Weise lädt uns der heilige Lehrer, der die Worte der Jungfrau
interpretiert, dazu ein, dem Herrn eine Wohnstätte in unserer Seele und in
unserem Leben anzubieten. Wir dürfen ihn nicht nur in unserem Herzen tragen,
sondern müssen ihn der Welt bringen – damit auch wir Christus für unsere Zeit
hervorbringen können. Bitten wir den Herrn, dass er uns hilft, ihn mit dem
Geist und der Seele Mariens zu preisen und Christus von Neuem in unsere Welt zu
tragen.
Benedikt XVI., 16.2.2006, Katechesen zu Psalmen und Hymnen der Vesperliturgie)
![]() |
| Altar der Geburt des Herrn, 1480-90, St. Ägidius, Bardejov |



Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen