Montag, 22. Dezember 2025

Die Seele des Gebetes ist die Feier der göttlichen Gnade

 

Basilika des hl. Ägidius, Bardejov, Slowakei

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas 1

In jener Zeit
46 sagte Maria:
Meine Seele preist die Größe des Herrn
47 und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
48 Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
49 Denn der Mächtige hat Großes an mir getan
und sein Name ist heilig.
50 Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
51 Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
52 er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
53 Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen,
55 das er unsern Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
56 Und Maria blieb etwa drei Monate bei Elisabet;
dann kehrte sie nach Hause zurück.
(Evangelium vom 22. Dezember)

Heimsuchung Mariä, 
 

 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wir sind am Ende der langen Reise angelangt, die vor genau fünf Jahren von meinem geliebten Vorgänger, dem unvergesslichen Papst Johannes Paul II., begonnen wurde. Der große Papst wollte in seinen Katechesen die gesamte Abfolge der Psalmen und Cantica durchgehen, die das Gewebe der grundlegenden Gebete aus dem Stundengebet und der Vesper bilden. Am Ziel dieser Wallfahrt durch diese Texte angelangt, die wie eine Reise durch den Blumengarten des Lobes, der Anrufung, des Gebetes und der Kontemplation ist, wollen wir jetzt jenem Gesang Raum geben, der jede Vesperfeier besiegelt: dem "Magnifikat" (Lk 1,46-55).

Es ist ein Lied, das die Spiritualität der biblischen "anawim" offen legt, das heißt jener Gläubigen, die sich selbst als "Niedrige" erkannten – nicht nur wegen der Abneigung von jeder Vergötterung von Reichtum und Macht, sondern auch wegen der tiefen Demut des Herzens, frei von der Versuchung des Stolzes, offen für die erlösende göttliche Gnade. Das ganze "Magnifikat", das wir gerade in der Interpretation des Chors der Sixtinischen Kapelle gehört haben, ist durch diese "Niedrigkeit" charakterisiert, auf Griechisch "tapeinosis", womit eine Situation konkreter Demut und Armut gemeint ist.

2. Der erste Satz des Marienlieds (vgl. Lk 1,46-50) ist wie eine Art Sologesang, in dem die Solistin ihre Stimme zum Himmel erhebt, bis diese zum Herrn dringt. Es ist tatsächlich auffallend, wie oft hier die erste Person verwendet wird: "meine Seele, mein Geist, mein Retter; sie werden mich selig preisen, er hat Großes an mir getan…" Die Seele des Gebetes ist somit die Feier der göttlichen Gnade, die in das Herz und die Existenz von Maria Einzug gehalten und sie zur Mutter des Herrn gemacht hat. Wir hören die Stimme der Jungfrau, die genau auf diese Weise von ihrem Retter spricht, der große Dinge an ihrer Seele und an ihrem Leib vollbracht hat.

Die innere Struktur ihres Gebetsgesangs ist Lob, Danksagung, dankbare Freude. Aber dieses persönliche Zeugnis ist nicht einzelgängerisch und privat, bloß individualistisch, denn die Jungfrau und Mutter ist sich dessen bewusst, dass sie einen Auftrag hat, den sie für die Menschheit erfüllen muss, und dass ihr Leben in der Heilsgeschichte eingebettet ist. So kann sie sagen: "Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten" (Vers 50). Mit diesem Lobpreis auf den Herrn verleiht die Jungfrau ihre Stimme allen Geschöpfen, die nach ihrem "Fiat" erlöst worden sind und die in der Gestalt Jesu, geboren von der Jungfrau, das Erbarmen Gottes entdecken.

3. An diesem Punkt angelangt, entwickelt sich der poetische und spirituelle zweite Satz des "Magnifikat" (vgl. Verse 51-55). Es hat den Ton eines Chores, so als würden sich der Stimme Mariens die Stimmen der ganzen Gläubigengemeinschaft anschließen, die die überraschenden Entscheidungen Gottes feiern. Im griechischen Original des Lukasevangeliums finden wir sieben Verben im Aorist, die viele andere Taten bezeichnen, die der Herr andauernd in der Geschichte wirkt: Er vollbringt machtvolle Taten, zerstreut die Hochmütigen, stürzt die Mächtigen vom Thron, erhöht die Niedrigen, beschenkt die Hungernden mit seinen Gaben, lässt die Reichen leer ausgehen, nimmt sich Israels an.

In diesen sieben göttlichen Werken tritt der "Stil" offen zutage, an dem der Herr der Geschichte sein Verhalten inspiriert: Er stellt sich auf die Seite der Geringsten. Häufig bleibt sein Projekt unter dem opaken Terrain der menschlichen Wandels verborgen, in dem diejenigen, "die im Herzen voll Hochmut sind", "die Mächtigen sowie die Reichen triumphieren. Allerdings ist es bestimmt, dass sich seine geheime Stärke zum Schluss manifestiert, um zu zeigen, wer die wahren Lieblinge Gottes sind: Diejenigen, die seinem Wort treu sind, die Niedrigen, die Hungernden, sein Knecht Israel, das heißt die Gemeinschaft des Wortes Gottes, die – wie Maria – aus denjenigen besteht, die im Herzen arm, rein und einfach sind. Sie bilden diese 'kleine Herde', die dazu eingeladen ist, sich nicht zu fürchten, da es dem Vater Wohlgefallen bereitet, ihr sein Reich zu schenken (vgl. Lk 12,32). Auf diese Weise lädt uns dieses Lied dazu ein, uns dieser kleinen Herde anzuschließen und wirklich Glieder des Volkes Gottes zu sein – in der Reinheit und der Einfachheit des Herzens, in der Liebe Gottes.

4. Nehmen wir also die Einladung an, die der heilige Ambrosius in seinem Kommentar zum "Magnifikat" an uns richtet. Der große Kirchenlehrer mahnt: "Möge in jedem das Herz Mariens über den Herrn frohlocken, möge in jedem der Geist Mariens den Herrn lobpreisen; Ja, gemäß dem Fleisch hat Christus nur eine Mutter, gemäß dem Glauben bringen alle Seelen Christus hervor; jede einzelne nimmt tatsächlich das Wort Gottes in sich auf… Die Seele Mariens lobt den Herrn, und ihr Geist jubelt in Gott, denn mit ihrer Seele und mit ihrem Geist, die dem Vater und dem Sohn geweiht sind, betet sie mit frommer Liebe nur einen Gott an, aus dem alles hervorgeht, und nur einen Herrn, kraft dessen alle Dinge existieren" ("Kommentar zum Evangelium nach Lukas" – "Esposizione del Vangelo secondo Luca" –, 2,26-27: Saemo, XI, Mailand-Rom 1978, 169).

In diesem wundervollen Kommentar des "Magnifikat" vom heiligen Ambrosius beeindruckt mich immer dieses überraschende Wort: "Ja, gemäß dem Fleisch hat Christus nur eine Mutter, gemäß dem Glauben bringen alle Seelen Christus hervor; jede einzelne nimmt tatsächlich das Wort Gottes in sich auf." Auf diese Weise lädt uns der heilige Lehrer, der die Worte der Jungfrau interpretiert, dazu ein, dem Herrn eine Wohnstätte in unserer Seele und in unserem Leben anzubieten. Wir dürfen ihn nicht nur in unserem Herzen tragen, sondern müssen ihn der Welt bringen – damit auch wir Christus für unsere Zeit hervorbringen können. Bitten wir den Herrn, dass er uns hilft, ihn mit dem Geist und der Seele Mariens zu preisen und Christus von Neuem in unsere Welt zu tragen. 
Benedikt XVI., 16.2.2006, Katechesen zu Psalmen und Hymnen der Vesperliturgie)


Altar der Geburt des Herrn, 1480-90, St. Ägidius, Bardejov

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