Freitag, 30. Dezember 2016

Das Gebet und die hl. Familie (Benedikt XVI.)


Die Fenster der Harris Manchester Kapelle in Oxford stammen von Edward Burne Jones und William Morris (1895-1899).

Geburt Jesu, Harris Manchester College, Oxford



Die heutige Begegnung findet in der weihnachtlichen Atmosphäre statt, die von inniger Freude über die Geburt des Retters durchdrungen ist. Gerade haben wir dieses Geheimnis gefeiert, dessen Widerhall die Liturgie all dieser Tage erfüllt. Es ist ein Geheimnis des Lichts, das die Menschen jeder Epoche im Glauben und im Gebet erneut leben können. Gerade durch das Gebet werden wir fähig, uns Gott in inniger Vertrautheit und Tiefe zu nähern. Unter dem Gesichtspunkt des Themas des Gebets, das ich zur Zeit in den Katechesen darlege, möchte ich euch daher heute einladen, darüber nachzudenken, wie das Gebet Teil des Lebens der Heiligen Familie von Nazaret ist. Denn das Haus von Nazaret ist eine Schule des Gebets, wo man lernt zuzuhören, nachzudenken, in die tiefe Bedeutung der Offenbarung des Sohnes Gottes einzudringen, indem man sich Maria, Josef und Jesus zum Vorbild nimmt.

Der Diener Gottes Paul VI. hielt bei seinem Besuch in Nazaret eine denkwürdige Ansprache. Der Papst sagte: In der Schule der Heiligen Familie »verstehen wir, warum wir eine geistliche Disziplin wahren müssen, wenn wir der Lehre des Evangeliums folgen und Jünger Christi werden wollen«. Und er fügte hinzu: »Das erste, was wir in Nazaret lernen, ist seine Stille. Wenn wir doch nur von neuem ihren großen Wert schätzen würden. Wir brauchen diesen wunderbaren Zustand der Seele. Gerade weil wir wie benommen sind vom üblen Lärm des schrillen Protests und der widersprüchlichen Ansprüche, die so charakteristisch sind für unsere unruhigen Zeiten. Die Stille von Nazaret möge uns lehren, wie wir in Frieden und Ruhe das tief Geistliche betrachten und reflektieren können und wie wir offen werden gegenüber der Stimme der inneren Weisheit Gottes und dem Rat der wahren Lehrermeister« (Besuch der Verkündigungsbasilika in Nazaret, 5. Januar 1964). (....)


Die Betrachtung Christi hat in Maria ihr unübertreffliches Vorbild. Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr, denn in ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr menschliche Gestalt empfangen. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi hingegeben. Die Augen ihres Herzens sind in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn gerichtet, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie allmählich seine Gegenwart zu spüren, bis zum Tag der Geburt, als ihre Augen mit mütterlicher Zärtlichkeit das Angesicht des Sohnes betrachten können, während sie ihn in Windeln wickelt und in die Krippe legt. Die Erinnerungen an Jesus, die in ihrem Gedächtnis und in ihrem Herzen verankert sind, haben jeden Augenblick von Marias Leben geprägt. Sie lebt mit dem Blick auf Christus und hütet jedes seiner Worte wie einen Schatz. Der hl. Lukas sagt: »Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Lk 2,19). So beschreibt er Marias Haltung gegenüber dem Geheimnis der Menschwerdung, eine Haltung, die sie ihr ganzes Leben hindurch einnehmen wird: Sie bewahrt alles in ihrem Herzen und denkt darüber nach. Lukas ist der Evangelist, der uns Marias Herz, ihren Glauben (vgl. 1,45), ihre Hoffnung und ihren Gehorsam (vgl. 1,38), vor allem ihre Innerlichkeit und ihr Gebet (vgl. 1,46–56), ihre freie Zustimmung zu Christus (vgl. 1,55) nahebringt. Und all das geht aus der Gabe des Heiligen Geistes hervor, der über sie kommt (vgl. 1,35), wie er der Verheißung Christi gemäß auf die Apostel herabkommen wird (vgl. Apg 1,8). Dieses Bild Marias, das der hl. Lukas uns schenkt, zeigt die Gottesmutter als Vorbild für jeden Gläubigen, der die Worte und Taten Jesu bewahrt und sie einander gegenüberstellt; diese Gegenüberstellung ist immer ein Fortschreiten in der Erkenntnis Jesu. Auf der Spur des seligen Papstes Johannes Paul II. (vgl. Apostolisches Schreiben Rosarium Virginis Mariae) können wir sagen, daß das Rosenkranzgebet sein Vorbild in Maria besitzt, weil es darin besteht, die Geheimnisse Christi in geistlicher Vereinigung mit der Mutter des Herrn zu betrachten. Marias Fähigkeit, vom Blick Gottes zu leben, ist sozusagen ansteckend.

Der erste, der diese Erfahrung gemacht hat, war der hl. Josef. Seine demütige und aufrichtige Liebe zu seiner Verlobten und die Entscheidung, sein Leben mit Marias Leben zu verbinden, hat auch ihn, der »gerecht« war (Mt 1,19), in eine einzigartige Vertrautheit mit Gott hineingezogen und eingeführt. Denn mit Maria und dann vor allem mit Jesus beginnt er, eine neue Beziehung zu Gott herzustellen, ihn in sein eigenes Leben aufzunehmen, in seinen Heilsplan einzutreten, indem er seinen Willen erfüllt. Nachdem er vertrauensvoll der Weisung des Engels gefolgt ist – »fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen« (Mt 1,20) –, hat er Maria zu sich genommen und sein Leben mit ihr geteilt; er hat sich wirklich ganz und gar Maria und Jesus hingegeben, und das hat seine Antwort auf die empfangene Berufung zur Vollkommenheit geführt. Wie wir wissen, ist im Evangelium kein einziges Wort von Josef überliefert: Seine Gegenwart ist eine schweigende, aber treue, beständige, tätige Gegenwart. Wir können uns vorstellen, daß auch er, wie seine Verlobte und in inniger Übereinstimmung mit ihr, die Jahre der Kindheit und Jugend Jesu gelebt hat, indem er sozusagen Seine Gegenwart in ihrer Familie genossen hat. Josef hat seine väterliche Aufgabe völlig erfüllt, in jeder Hinsicht. Sicher hat er Jesus zum Gebet erzogen, gemeinsam mit Maria. Insbesondere wird er ihn mit in die Synagoge genommen haben, zum Sabbatgottesdienst, sowie nach Jerusalem, zu den großen Festen des Volkes Israel. Gemäß der jüdischen Tradition wird Josef das häusliche Gebet geleitet haben, sowohl im Alltag – am Morgen, am Abend, bei den Mahlzeiten – als auch an den wichtigsten religiösen Festen. So hat Jesus im Rhythmus der Tage, die er in Nazaret zwischen dem bescheidenen Haus und Josefs Werkstatt verbracht hat, gelernt, Gebet und Arbeit abzuwechseln und auch die Mühen, um der Familie das nötige Brot zu verdienen, Gott als Opfer darzubringen.
(Benedikt XVI., aus der Generalaudienz 28.12.2011)


Die hl. Familie bei der Arbeit, Harris Manchester College, Oxford

Maria, Josef und die Engel beten Christus, den menschgewordenen Gott an, Harris Manchester College, Oxford

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