Donnerstag, 6. April 2023

Eucharistie ist Hochzeit

 

im Abendmahlsaal, Verduner Altar, Stift Klosterneuburg

Liebe Brüder und Schwestern!

Qui, pridie quam pro nostra omniumque salute pateretur, hoc est hodie, accepit panem: So werden wir heute beim Hochgebet der heiligen Messe sagen. „Hoc est hodie“ – die Liturgie des Gründonnerstags fügt in den Wortlaut des Gebets das „Heute“ ein und unterstreicht damit die besondere Würde dieses Tages. „Heute“ war es, daß er dies getan, uns für immer sich selbst im Sakrament seines Leibes und Blutes geschenkt hat. Dieses „Heute“ ist zunächst Erinnerung an das Pascha von damals. Aber es ist doch mehr. Mit dem Hochgebet treten wir in dieses Heute hinein. Unser Heute berührt sich mit seinem Heute. Er tut es jetzt. Die Liturgie der Kirche will uns mit diesem Wort „Heute“ dazu bringen, mit großer innerer Wachheit auf das Geheimnis dieses Tages zu achten, auf die Worte, in denen es sich ausdrückt. Versuchen wir also, neu dem Einsetzungsbericht zuzuhören, wie ihn die Kirche von der Schrift her im Hinschauen auf den Herrn selber formuliert hat.

Da wird uns als erstes treffen, daß der Einsetzungsbericht gar kein selbständiger Satz ist, sondern mit einem Relativpronomen beginnt: qui pridie. Dieses „qui“ hängt den ganzen Bericht an das vorhergehende Gebetswort an: „Mache sie uns … zum Leib und Blut deines geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus“. Der Bericht ist so mit dem vorausgehenden Gebet, mit dem ganzen Hochgebet verknüpft und selbst zum Gebet gemacht. Er ist gar nicht einfach ein Bericht, der hier eingeschoben wäre, und es sind auch nicht selbständige Vollmachtsworte, die etwa das Gebet unterbrechen würden. Er ist Gebet. Und nur im Beten vollzieht sich der priesterliche Akt des Verwandelns, der Transsubstantiation unserer Gaben von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi. Betend steht die Kirche in diesem zentralen Moment ganz im Einklang mit dem Geschehen im Abendmahlsaal, denn Jesu Tun wird beschrieben mit den Worten: „Gratias agens benedixit Danksagend segnete er“. Die römische Liturgie hat damit in zwei Wörter auseinandergenommen, was im hebräischen Berakha eins ist und im Griechischen hingegen auch in den zwei Worten Eucharistia und Eulogia erscheint. Der Herr dankt. Im Danken anerkennen wir, daß etwas Gabe ist, die von einem anderen kommt. Der Herr dankt und gibt damit das Brot, „die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“, an Gott zurück, um es von ihm her neu zu empfangen. Danken wird segnen. Was Gott in die Hand gegeben ist, kehrt von ihm gesegnet, verwandelt zurück. Die römische Liturgie hat also recht, wenn sie unser Beten in diesem heiligen Moment mit den Worten auslegt: „wir bringen [die Opfergaben] dar“, „wir flehen“, „wir bitten, nimm diese Opfergaben an“, „segne sie“. All das verbirgt sich in dem Wort „Eucharistia

Im Einsetzungsbericht des Römischen Kanons gibt es noch eine Besonderheit, die wir in dieser Stunde bedenken wollen. Die betende Kirche blickt hin auf die Hände und auf die Augen des Herrn. Sie will gleichsam zusehen, sie will die Gebärde seines Betens und Tuns in dieser einzigartigen Stunde wahrnehmen, gleichsam auch über die Sinne der Gestalt Jesu begegnen. „Er nahm das Brot in seine heiligen und ehrwürdigen Hände…“ Wir schauen auf die Hände hin, mit denen er Menschen geheilt hat; auf die Hände, mit denen er Kinder gesegnet hat; auf die Hände, die er Menschen aufgelegt hat; und auf die Hände, die am Kreuz angenagelt wurden und die für immer die Wundmale als Zeichen seiner todbereiten Liebe tragen. Nun sind wir beauftragt zu tun, was er getan hat: das Brot in die Hände zu nehmen, damit es durch das eucharistische Gebet verwandelt werde. In der Priesterweihe sind unsere Hände gesalbt worden, damit sie Segenshände werden. Bitten wir den Herrn in dieser Stunde, daß unsere Hände immer mehr dem Heil, dem Segen, der Vergegenwärtigung seiner Güte dienen!

Aus der Einleitung zum hohepriesterlichen Gebet Jesu (vgl. Joh 17, 1) entnimmt der Kanon dann die Worte: „Er erhob seine Augen zum Himmel, zu dir, seinem Vater, dem allmächtigen Gott.“ Der Herr lehrt uns, unsere Augen und vor allem unser Herz zu erheben. Aufzuschauen aus den Dingen dieser Welt und uns betend auf Gott hin auszurichten und aufzurichten. In einem Hymnus des Stundengebets bitten wir den Herrn, daß er unsere Augen behüte, damit sie nicht „vanitates“ schöpfen und in uns einlassen – das Eitle, das Nichtige, den bloßen Schein. Wir bitten darum, daß nicht durch die Augen das Böse in uns eintritt und unser Sein von innen her verfälscht und beschmutzt. Wir wollen aber vor allem darum bitten, daß wir Augen haben für alles Wahre, Helle, Gute; daß wir sehend werden für die Gegenwart Gottes in der Welt. Daß wir mit Augen der Liebe, mit Jesu Augen in die Welt schauen und so die Brüder und Schwestern erkennen, die unser bedürfen, die auf unser Wort und unsere Tat warten.

Segnend bricht der Herr dann das Brot und teilt es seinen Jüngern aus. Brotbrechen ist die Gebärde des Hausvaters, der für seine Familie sorgt und ihr gibt, was sie zum Leben braucht. Es ist aber auch die Gebärde der Gastlichkeit, mit der der Fremdling, der Gast in die Familie aufgenommen wird, Anteil an ihrem Leben erhält. Teilen – Aus-teilen ist Einen. Durch das Teilen wird Gemeinschaft gestiftet. Im gebrochenen Brot teilt der Herr sich selbst aus. Der Gestus des Brechens weist auch geheimnisvoll auf seinen Tod hin, auf die Liebe bis zum Tod. Er teilt sich aus, das wahre „Brot für das Leben der Welt“ (vgl. Joh 6, 51). Denn die Nahrung, die der Mensch im tiefsten braucht, ist die Gemeinschaft mit Gott selber. Im Danksagen und Segnen verwandelt Jesus das Brot, gibt nicht mehr irdisches Brot, sondern die Gemeinschaft mit sich selbst. Diese Verwandlung aber will der Anfang der Verwandlung der Welt sein. Daß sie Welt der Auferstehung, Welt Gottes werde. Ja, es geht um Verwandlung. Um den neuen Menschen und um die neue Welt, die im konsekrierten, verwandelten, transsubstantiierten Brot anbricht.

Wir hatten gesagt, daß Brotbrechen Gestus der Gemeinschaft, des Einens durch Teilen ist. So ist in der Gebärde selbst schon das innere Wesen der Eucharistie angedeutet: Sie ist Agape, sie ist leibhaftig gewordene Liebe. Im Wort Agape gehen die Bedeutungen Eucharistie und Liebe ineinander über. Im Brotbrechen Jesu hat die sich austeilende Liebe ihre äußerste Radikalität erlangt: Jesus läßt sich als lebendiges Brot brechen. Im ausgeteilten Brot erkennen wir das Geheimnis des Weizenkorns, das stirbt und so Frucht bringt. Wir erkennen die neue Brotvermehrung, die aus dem Sterben des Weizenkorns kommt und bis ans Ende der Welt reicht. Zugleich sehen wir, daß Eucharistie nie bloß liturgische Handlung sein kann. Sie ist nur ganz, wenn aus liturgischer Agape Liebe im Alltag wird. Im christlichen Kult ist beides eins – das Beschenktwerden durch den Herrn im gottesdienstlichen Akt und der Gottesdienst der Liebe dem Nächsten gegenüber. Bitten wir in dieser Stunde den Herrn, daß wir das ganze Geheimnis der Eucharistie immer mehr zu leben lernen und daß so die Verwandlung der Welt beginne.

Nach dem Brot nimmt Jesus den Kelch mit Wein. Der Römische Kanon bezeichnet den Kelch, den der Herr den Jüngern reicht, als præclarus calix (als „erhabenen Kelch“) und spielt damit auf Ps 23 [22] an, den Psalm von Gott, dem mächtigen und gütigen Hirten. Da heißt es: “Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde … Du füllst mir reichlich den Becher“ – calix præclarus. Der Römische Kanon versteht dieses Psalmwort als eine Prophetie, die in der Eucharistie sich erfüllt: Ja, der Herr deckt uns den Tisch mitten in den Bedrohungen dieser Welt, und er schenkt uns den herrlichen Kelch – den Kelch der großen Freude, des wahren Festes, nach dem wir uns alle sehnen. Den Kelch gefüllt mit dem Wein seiner Liebe. Der Kelch bedeutet Hochzeit: Nun ist die Stunde da, auf die die Hochzeit von Kana geheimnisvoll hingedeutet hatte. Ja, die Eucharistie ist mehr als Mahl, sie ist Hochzeit. Und diese Hochzeit beruht auf der Selbstschenkung Gottes bis in den Tod hinein. In den Abendmahlsworten Jesu und im Hochgebet der Kirche verbirgt sich das festliche Geheimnis der Hochzeit unter dem Wort „novum testamentum“. Dieser Kelch ist das Neue Testament – „der Neue Bund in meinem Blut“, so gibt Paulus in der zweiten Lesung das Kelchwort Jesu wieder (1 Kor 11, 25). Der Römische Kanon fügt hinzu, „des Neuen und ewigen Bundes“, um die Unauflöslichkeit dieser hochzeitlichen Verbindung Gottes mit der Menschheit auszudrücken. Daß die alten Übersetzungen der Bibel nicht von Bund, sondern von Testament sprechen, hat seinen Grund darin, daß da nicht zwei gleichberechtigte Partner einander begegnen, sondern der unendliche Abstand von Gott und Mensch waltet. Was wir Neuen und Alten Bund nennen, ist nicht ein Akt der Partnerschaft zwischen zwei gleichen Partnern, sondern reines Geschenk von Gott her, der uns seine Liebe – sich selbst – vermacht. Freilich – durch dieses Geschenk seiner Liebe macht er uns dann über allen Abstand hinweg wirklich zu Partnern, vollzieht sich das hochzeitliche Geheimnis der Liebe.

Damit wir verstehen können, was in der Tiefe da geschieht, müssen wir noch genauer auf die Worte der Bibel und auf ihre ursprüngliche Bedeutung hören. Da sagen uns die Forscher, daß „einen Bund herstellen“ in der frühen Zeit, von der die Geschichten der Väter Israels sprechen, die Bedeutung hat: „in einen fremden Blutsverband eintreten bzw. den Partner in den eigenen Verband einbeziehen und so in Rechtsgemeinschaft miteinander treten“. Auf diese Weise wird eine reale, wenn auch nicht materielle Blutsverwandtschaft geschaffen. Die Partner werden zu „Brüdern aus demselben Fleisch und Bein“. Der Bund bewirkt eine Ganzheit, die Friede ist (ThWNT II 105–137). Ahnen wir nun, was in der Stunde des Abendmahls geschah und seither sich immer wieder vollzieht, wenn wir Eucharistie feiern? Gott, der lebendige Gott, tritt mit uns in eine Gemeinschaft des Friedens, mehr, er schafft „Blutsverwandtschaft“ zwischen sich und uns. Durch Jesu Menschwerdung, durch sein vergossenes Blut sind wir in eine ganz reale Blutsverwandtschaft mit Jesus und so mit Gott selbst hineingezogen. Das Blut Jesu ist seine Liebe, in der göttliches und menschliches Leben eins geworden sind. Bitten wir den Herrn, daß wir die Größe dieses Geheimnisses immer mehr verstehen. Daß es seine verwandelnde Kraft in unserm Innern entfalte, damit wir wahrhaft Blutsverwandte Jesu werden, von seinem Frieden durchdrungen und so auch einander zugehörig.

Nun steht aber noch einmal eine Frage auf. Christus reicht im Abendmahlssaal den Jüngern seinen Leib und sein Blut, das heißt sich selber in der Ganzheit seiner Person dar. Aber kann er das? Er steht doch noch physisch unter ihnen, ihnen gegenüber! Die Antwort lautet: In dieser Stunde tut Jesus das, was er zuvor in der Hirtenrede angekündigt hatte: „Niemand entreißt mir mein Leben, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, mein Leben hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen…“ (Joh 10, 18). Niemand kann ihm sein Leben entreißen: Er gibt es selbst. In dieser Stunde nimmt er Kreuzigung und Auferstehung voraus. Was dort sozusagen physisch an ihm geschehen wird, vollzieht er jetzt schon voraus in der Freiheit seiner Liebe. Er gibt sein Leben, und er nimmt es in der Auferstehung wieder, um es für immer austeilen zu können.

Herr, heute schenkst du uns dein Leben, schenkst uns dich selbst. Durchdringe uns mit deiner Liebe. Laß uns in deinem Heute leben. Mache uns zu Werkzeugen deines Friedens. Amen.

Benedikt XVI, Gründonnerstag, 9. April 2009

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