Heiligkeit ist unmöglich ohne Gebet
13 Bekanntlich ist jedoch die Heiligkeit insofern durch unsern Willen bedingt, als dieser durch Gottes Gnadenbeistand gestärkt wird. Daher hat Gott selber im reichsten Maße vorgesorgt, dass uns seine Gnade, wenn wir es nur wollen, keinen Augenblick fehle. Dazu verhilft uns vor allem der Gebetseifer. Tatsächlich besteht zwischen Gebet und Heiligkeit eine so enge Wechselbeziehung, dass das eine ohne das andere unmöglich ist. Diesbezüglich entspricht die Behauptung des heiligen Johannes Chrysostomus vollkommen der Wahrheit: «Ich meine, es sollte jedermann klar sein, dass ein tugendhaftes Leben ohne die Hilfe der Gnade einfach unmöglich ist» (41). Seinerseits sagt Augustinus klar und bündig: «Fürwahr, recht zu leben versteht, wer recht zu beten weiß» (42). Die gleiche Lehre hat uns Christus selber durch wiederholte Ermahnungen und insbesondere durch sein Beispiel nachdrücklich eingeschärft, indem er sich entweder in die Wüste zurückzog oder allein auf Bergeshöhen stieg, um zu beten. Ganze Nächte verbrachte er in inbrünstigem Gebet; oft ging er in den Tempel und hat sogar mitten im Volksgedränge den Blick gen Himmel erhoben und öffentlich gebetet. Schließlich hat er, ans Kreuz geheftet, inmitten der Todesschmerzen mit lauter Stimme und unter Tränen den Vater angerufen.14 Halten wir also am unerschütterlichen Grundsatz fest: Um seiner hohen Würde und seiner Berufspflicht gerecht zu werden, muss der Priester das Gebetsleben mit außergewöhnlicher Hingabe pflegen. Allzu oft ist ihm leider das Gebet eher eine Gewohnheit als ein Herzensbedürfnis. Zu bestimmten Stunden erledigt man ohne innere Anteilnahme das Brevier oder verrichtet nur spärliche Gebete und denkt tagsüber kaum mehr daran, sich an Gott zu wenden und sein Herz zu ihm zu erheben. Und doch sollte der Priester viel eifriger als irgend jemand Christi Gebot befolgen: Man muss allzeit beten (43), ein Gebot, das Paulus mit Nachdruck betont: Seid beharrlich im Gebete, seid wachsam im Geiste der Danksagung (44), betet ohne Unterlaß! (45)
Gebet für sich und die andern
Wer vom Verlangen nach persönlicher Heiligung sowie von der Sorge um das ewige Heil des Nächsten beseelt ist, dem bieten sich ja im Lauf eines Tages unzählige Gelegenheiten, sich zu Gott zu erheben. Geheime Herzensnöte, heftige und hartnäckige Versuchungen, Mangel an Tugendkraft, Schlaffheit und Erfolglosigkeit im Wirken, häufige Vergehen und Nachlässigkeiten und schließlich die Furcht vor Gottes Gericht: all das drängt uns gebieterisch, Gott unser Leid zu klagen, seine Hilfe zu erflehen und bereitwillig unsere Verdienste bei ihm zu vermehren.Und zwar müssen wir ihm nicht nur unser eigenes Leid klagen. Inmitten der allgemeinen und stets weiter umsichgreifenden Sündenflut obliegt es vor allem uns, im Gebet Gottes Barmherzigkeit anzurufen und Christus im allerheiligsten Altarssakrament, den überaus gütigen Spender aller Gnaden, mit der Bitte zu bestürmen: Verschone, o Herr, verschone dein Volk (46)
(Apostolisches Mahnwort Haerent animo an den katholischen Klerus, 1908)
Gemälde von Pius X. in Castel Gandolfo |
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