Mittwoch, 16. August 2017

Die "Heilige Rechte" von König Stefan von Ungarn

Glasfenster des hl. Stefan in der Szent Jobb Kapelle, Stephansbasilika, Budapest

In der Szent Jobb Kapolna der Stephansbasilika in Budapest wird die rechte Hand des Ungarnkönigs verehrt. Alljährlich wird am St. Stephanstag, dem 20. August, der Schrein dem Volk vorangetragen.

Szent Jobb Kapelle in der Stephansbasilika, Budapest




Ein zweites Objekt, an dem der Kult des heiligen Königs in besonderer Weise haftet, ist die mumifizierte rechte Hand Stephans, die "Heilige Rechte" (ungarisch Szent Jobb). Das ungarische Wort jobb bezeichnet sowohl die Richtung "rechts" als auch das Wort "besser" und wurde im Mittelalter synonym für Recht verwendet. Ladislaus I. ließ den königlichen Gerichtstag auf den 20. August, den Namenstag Stephans, verlegen. Die rechte Hand symbolisierte somit den Herrscher und die Gerechtigkeit des Königs und bestätigte die Heiligkeit der von ihm geschaffenen Institutionen Staat und Kirche.

Die Handreliquie gelangte bereits vor der Heiligsprechung Stephans nach Ostungarn, wo Ladislaus deren ehrenvolle Unterbringung im Kloster zur "Heiligen Rechten" verordnete. König Ludwig I., der ab 1370 Ungarn und Polen in Personalunion regierte, ließ anläßlich seines Herrschaftsantritts in Polen den oberen Teil des Arms abtrennen und nach Polen bringen, was eine hohe Symbolkraft für die Union der beiden Länder besaß. Die Hand selbst wurde in den 1420er Jahren nach Stuhlweißenburg überführt, wo ihre Verehrung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine neue Blütezeit erlebte. 1543 geriet die Reliquie in den Besitz der Osmanen, als diese die Stadt eroberten. Man kann nach dem heutigen Stand der Forschung davon ausgehen, daß die Besatzer um ihre Kostbarkeit wußten. Denn obwohl die Reliquie aus ihrem Edelmetallbehältnis geholt wurde, blieb sie unversehrt. Fast ein halbes Jahrhundert später tauchte sie erneut auf dem Balkan auf. Nach verschiedenen Berichten kauften christliche Kaufleute sie für teures Geld von den Osmanen in Bosnien zurück und schenkten sie dem Dominikanerkloster von Dubrovnik, bis sie von Königin Maria Theresia 1771 nach Ungarn zurückgebracht und zunächst in der Burgkapelle von Ofen untergebracht wurde.

Seitdem hat die "Heilige Rechte" ihren Platz als höchste national-religiöse Reliquie der römisch-katholischen Kirche in Ungarn wieder eingenommen. Diente die"Heilige Rechte" zur Stabilisierung der Beziehung zwischen der Habsburgerdynastie und der Nation, so symbolisierte der von der ungarischen Bischofskonferenz 1862 gestiftete neue Reliquiarbehälter ohne das Wappen der Habsburger die Wiederangeignung der Gestalt Stephans des Heiligen durch die katholische Kirche. Mit diesem Akt wurde den Habsburgern der noch symbolisch bestehende Schutz der Nationalreliquie zur Zeit des Neoabsolutismus, als die Wiener Regierung die Staatskontrolle auf die katholische ausweiten wollte, entzogen. In den 1870er Jahren etablierte sich die kirchliche Prozession mit der "Heiligen Rechten", die seitdem - mit Unterbrechungen etwa zwischen 1945 und 1989 - jedes Jahr am Tag des heiligen Stephan, am 20. August, abgehalten wird. An der Prozession, die im Aufbewahrungsort der Reliquie, im Sankt-Stephansdom, und um den Dom abgehalten wird, nehmen traditionell neben Menschen aus dem ganzen Land auch die öffentlich-rechtlichen Würdenträger des Landes ungeachtet ihrer konfessionellen Zugehörigkeit teil.

(Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa, Hrsg. Bahlcke, Rohdewald, Wünsch, 537)










Die "Heilige Rechte" von König Stephan von Ungarn in der Stephansbasilika, Budapest

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