Ninive, Seesturm, Jona wird ins Meer geworfen und von einem großen Fisch verschlungen |
sondern gedenkt auch des alttestamentlichen Propheten
Jona. Über den historischen Propheten Jona lesen wir im 2. Buch der Könige: Er war Prophet im 8. vorchristlichen Jahrhundert und prophezeite König Jerobeam II. die Rückeroberung der Gebiete bis zum Toten Meer (2 Kön 14,25). Der Name des Jona wurde dann für den fiktiven Helden der Lehrerzählung aus dem 4. Jahrhundert verwendet, die ein eigenes Buch im Alten Testament bildet. Demnach wurde Jona von Gott beauftragt, der Stadt Ninive den Untergang vorauszusagen. Die Ruinen Ninives sind bei Mosul im Irak erhalten.
Jonas will seiner unangenehmen Berufung als Unheilsprophet zunächst entkommen, wird auf der Flucht vor Gott von einem Seeungeheuer verschluckt und letztlich doch von Gott gerettet; als sich schließlich Ninive tatsächlich bekehrt, ist er damit wieder nicht zufrieden und hadert gegen die Barmherzigkeit Gottes. Im Neuen Testament wird Jona, der drei Tage im Bauch des Seeungeheuers war, zum Vorausbild für Christus, der drei Tage in der Finsternis des Grabes war.
(Martyrologium Sancrucense)
Jona wird ans Land gespien, Lincoln College, Oxford |
Die Gestalt des biblischen Jona hat viele Menschen immer wieder interessiert, unter ihnen die Theologen, insbesondere die Bibliker und Ethiker, auch die Künstler. Nach dem altbundlichen Prophetenbuch weigert sich Jona, die heidnische sündige Stadt Ninive zur Umkehr zu rufen. Er will nicht, dass Gott vergibt und verschont. Können wir das nachempfinden?
An der Vergebungsbereitschaft Gottes zweifeln wir nicht. Uns ist bewusst, dass sie allein unsere Hoffnung begründet. Und aus langer christlicher Gewöhnung ist uns der Heilsuniversalismus, der auch die Nichtchristen einschließt, vertraut. „Gott will, dass alle Menschen selig werden“ (1 Tim 2,4).
Vielleicht ist uns dies schon so sehr zur Selbstverständlichkeit geworden, dass wir kaum noch spüren, wie unfassbar und staunenswert die unaufhörliche und grenzenlose Vergebungsbereitschaft Gottes ist.
Verborgen gibt es womöglich auch die Versuchung, Grenzen zu ziehen: „Das Heil kann doch nicht billig sein“. Und im Namen der Gerechtigkeit erwarten wir, dass über die schweren Verbrechen Gericht gehalten wird. Es kann doch nicht sein, dass es am Ende gleichgültig ist, ob ganze Völker, vielleicht über Generationen, unter der Bosheit von Menschen gelitten haben. Dann kommt uns der Gedanke zu Hilfe, dass die Vergebung doch auch Reue und Umkehrwillen verlangt, wenigstens das. Hoffentlich aber setzen wir unser Vertrauen auf Jesu Sühnetod.
Nein, an Gottes Vergebungsbereitschaft und Heilswillen wollen wir nicht zweifeln. Aber zur Umkehr rufen, wie Jona es – mehr von Gott genötigt als aus Neigung – tat, oder mit Strafe drohen, wie der Prophet es tat, wagen wir kaum. Weniger, weil wir Bekehrung und Vergebung nicht wünschten, sondern weil wir Bußpredigt und Drohung für wirkungslos halten, vielleicht sogar für kontraproduktiv.
Wir haben unsere Erfahrungen, meinen wir. Im Erleben unseres eigenen Umfeldes und über Jahre und Jahrzehnte. Es gibt Menschen, die können sich offensichtlich nicht mehr bekehren. Dann stellen wir resignierend alle Bemühungen, sie zur Einsicht und Reue zu bewegen, ein. Das kann Einzelne betreffen.
Oder wir haben geschichtliche Erinnerungen. Wie war es, als große Mehrheiten in einer Gesellschaft mit ihren ideologisch begründeten Absichten über Völker herfielen und vernichten, wenigstens unterwerfen wollten, wie in einem Rausch wüteten und nicht mehr zu belehren waren? Kollektive Irrtümer, die Furien entfesselten? Müssen da erst die große Katastrophe und der völlige Zusammenbruch kommen? Aber auch dann wachsen ja nur langsam die Einsicht und der Wille zur Umkehr.
Dabei ist es schwer zu verstehen, dass jemand Böses will auch in der Erkenntnis, dass das Gewollte böse ist. Ja, dass einer Böses verursacht, weil er einen größeren Wert drangibt, um einen kleineren zu gewinnen (eine vorübergehende Lust, einen persönlichen Vorteil), kennen wir aus eigenem Erleben. Auch dass einer im Irrtum befangen bleibt. Aber dass einer am Bösen festhält, auch wenn er es erkennt? Dass einer an seiner Gottferne festhält, an seiner eigenen Hölle, erscheint uns unbegreiflich. Mysterium iniquitatis!
Gerade, weil es so unbegreiflich ist, wünschen wir vielleicht, dass es trotz allem irgendwann am Ende doch eine Apokatastasis gäbe, eine allgemeine Versöhnung und Erlösung. Die Kirche hat in ihrem Lehramt aber verbindlich entschieden, dass nicht geglaubt werden kann und darf, dass die Hölle zeitlich, nicht ewig sei.
So bleibt zu fragen: Gibt es eine so schwere Schuld, eine solche Verstrickung in Sünde und eine solche Verstockung im Bösen, dass eine Bekehrung ausgeschlossen ist? Fehlhaltungen, die gar nicht mehr zu beheben sind?
Bei Dante heißt es einmal: „Das ist die Strafe deiner Sünde, dass du sie nicht mehr als Sünde erkennst“. Bedeutet dies Aussichtslosigkeit? Oder mildernder Umstand?
Auch wenn wir an der kirchlichen Lehrentscheidung festhalten, dass die Hölle ewig ist, dürfen wir doch hoffen, dass auch der schlimmste Sünder sich von der Liebe Gottes bewegen lässt, sich Gott anzuvertrauen. Können wir das auch hoffen?
Hier ist unser Glaube an die Vergebungsbereitschaft und unser Vertrauen darauf gefragt: die Vergebungsbereitschaft, die den Propheten Jona nach Ninive sandte (und wenn das Buch Jona auch keine geschichtliche Erzählung ist, ist sie doch Verkündigung!), Vergebungsbereitschaft, die in ihrem Grund und Maß in Jesus von Nazareth offenbart worden ist.
In Wort und Tat Jesu begegnet doch auf Schritt und Tritt die Botschaft von Gottes grundloser Vergebungsbereitschaft. „Grundlos“ darf im doppelten Sinn verstanden werden; einmal: Gott will verzeihen, ohne dass der Sünder etwas anderes tut, als dass er im Glauben Verzeihung und Vergebung annimmt; und im anderen Sinn: die Vergebungsbereitschaft Gottes reicht so tief, dass sie nie auf einen Grund kommt und erschöpft sein könnte.
Jesus selbst hat als Gottes Sohn Sünden vergeben und Sünder mit Gott versöhnt. „Deine Sünden sind dir vergeben“, sagt er, auch wenn ihm das den Vorwurf der Lästerung einbringt. Am Kreuz noch möchte er Vergebung: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun“. (Unsere Neugier mag fragen: Und wenn sie es wüssten? Wäre das dann die unvergebbare „Sünde wider den Heiligen Geist“? Aber so fragen wir. Der Evangelist zielt auf eine andere Botschaft.)
Ich wage noch in Kürze anzufügen, was Hans Urs von Balthasar immer wieder vorgetragen hat: ist der Höllenabstieg Jesu, den wir im Credo bekennen, nicht die Botschaft, dass Jesus den Verlorenen in der tiefsten Gottesferne begegnet und ihnen dort die unergründliche Liebe Gottes erlebbar macht, dass sie sich dem Barmherzigen zuwenden und gerettet werden können? Sollten wir nicht darauf hoffen dürfen, dass der Verstockteste aufsteckt und sich dem Barmherzigen anvertraut, wenn neben ihm der einzig Schuldlose noch schmerzlicher unter der Gottesferne leidet als er selbst?
Aber mit diesen Fragen bewegen wir uns auf dem Feld theologischer Überlegungen und nicht mehr in der Interpretation kirchlich verbindlicher Glaubenslehre. In der Heiligen Schrift gibt uns aber kein Wort so viel Vertrauen wie das Wort, das der Apostel an die Gemeinde von Rom schreibt: „... wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“ (Röm 5,20).
Liebe Mitbrüder, Jona wurde nach Ninive gesandt, um die heidnische sündige Stadt zur Umkehr zu rufen. Ihm behagte dies nicht. Auf dem Hintergrund dieser Vorstellung wird es gerade zur großen Überraschung, dass Ninive sich zum Gott Israels bekehrt und Gott verschont und verzeiht.
Wenn wir im Glauben daran festhalten, dass Gottes Vergebungsbereitschaft nie endet, werden wir zur Umkehr rufen, auch wenn die Früchte ausbleiben. Dann werden wir den vergebungsbereiten Christus so verkünden, dass er für alle Generationen „zum Zeichen des Jona“ werden kann, das Jesus angekündigt hat. Amen.
(Sterzinsky, Predigt bei der Frühjahrsvollversammlung der DBK, 13.2.22008)
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