Sonntag, 19. November 2023

Gott ist verreist, Parabel von den Talenten (H. U. v. Balthasar)

Heute gedenkt die Kirche der heiligen Elisabeth von Thüringen.

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus 25

In jener Zeit
erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:
14Mit dem Himmelreich
ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.
Er rief seine Diener
und vertraute ihnen sein Vermögen an.
15Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld,
einem anderen zwei,
wieder einem anderen eines,
jedem nach seinen Fähigkeiten.
Dann reiste er ab.
16Sofort ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte, hin,
wirtschaftete mit ihnen
und gewann noch fünf weitere dazu.
17Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte,
noch zwei weitere dazu.
18Der aber, der das eine Talent erhalten hatte,
ging und grub ein Loch in die Erde
und versteckte das Geld seines Herrn.
19Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück
und hielt Abrechnung mit ihnen.
20Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte,
brachte fünf weitere
und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben;
sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen.
21Sein Herr sagte zu ihm:
Sehr gut,
du tüchtiger und treuer Diener.
Über Weniges warst du treu,
über Vieles werde ich dich setzen.
Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!
22Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte,
und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben;
sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen.
23Sein Herr sagte zu ihm:
Sehr gut,
du tüchtiger und treuer Diener.Über Weniges warst du treu,
über Vieles werde ich dich setzen.
Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!
24Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte,
und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist;
du erntest, wo du nicht gesät hast,
und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast;
25weil ich Angst hatte,
habe ich dein Geld in der Erde versteckt.
Sieh her, hier hast du das Deine.
26Sein Herr antwortete und sprach zu ihm:
Du bist ein schlechter und fauler Diener!
Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe,
und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe.
27Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen,
dann hätte ich es bei meiner Rückkehr
mit Zinsen zurückerhalten.
28Nehmt ihm also das Talent weg
und gebt es dem, der die zehn Talente hat!
29Denn wer hat,
dem wird gegeben werden
und er wird im Überfluss haben;
wer aber nicht hat,
dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
30Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus
in die äußerste Finsternis!
Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.

(Evangelium vom 33. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A) 

Gleichnis von den Talenten, St. Mary Abbots, London

"Den ganzen Tag muß ich hören: Wo ist dein Gott?" (Ps 42,4). Er ist verreist. "Ein vornehmer Mann begab sich in ein fernes Land, um dort die Königswürde zu empfangen und nachher zurückzukehren" (Lk 19,12).
Jesus, der die Parabel von diesem Mann erzählt, ist im Begriff, in Kreuz und Tod zu verreisen, den Tag seiner Wiederkunft kann er nicht angeben, weil nicht einmal er, sondern nur der Vater ihn kennt (Mk 13,32). Es hat keinen Sinn, dem Verschwundenen nachzustarren: "Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?" (Apg 1,11).

Vor der Abreise hatte der "vornehme Mann" seine Knechte herbeigerufen und "ihnen sein Vermögen anvertraut" (Mt 25,14) - das ganze offenbar, denn es ist von keiner Beschränkung die Rede, und es wird gesagt, daß er ihnen die "exousia", die "Voll-Macht" darüber überließ (Mk 13,42) -, was er aber dem einzelnen zumaß, bestimmte er nach dessen "Fähigkeiten". "Dann verreist er" (ebd. 15).

Was Gott besitzt, vertraut er den Menschen an, darin liegt ein unbegreiflicher Akt  des Vertrauens; indem er ihnen alles, was er hat, in die Hände legt - mehr kann er ihnen nicht geben -, haben sie mit der Fülle des Seinigen ihn selbst, zugleich als das ihnen wirklich Gegebene und dennoch als das Seine, das Ihnen zur Verwaltung anvertraut ist. Und da sie von ihm nichts Höheres erwarten können, verschwindet er hinter der Gabe.

Wer in der Gabe den Geber erkennt, weiß unmittelbar, daß sie nur im Geist des Gebers zu verwalten ist: im ursprünglichen Schenkungsakt liegt eine Großmut und Fruchtbarkeit, die nur durch entsprechende großmütige und fruchtbare Verwaltung beantwortet werden kann. Es ist wichtig, daß die Knechte die vollkommene Einheit sehen zwischen der Gabe und der in ihr liegenden Forderung, die Forderung des Fruchtbarmachens liegt unmittelbar in der Großmut des Geschenks. Keinesfalls werden die Knechte unterscheiden dürfen zwischen "wirklich übergeben" und "bloß geliehen". Das wird vollends evident, wenn wir vom Gleichnis auf die darin gemeinte Wahrheit hindurchblicken: Was uns von Gott anvertraut ist: unser Dasein mit all seinen Möglichkeiten, ist uns wirklich anvertraut, so endgültig, daß es uns gar nicht mehr genommen werden kann, und dennoch ist dieses Geschenk eine Leihgabe aus dem Schatz Gottes (der alles Sein ist), worin liegt, daß das Geschenk entsprechend seinem Gabe-Charakter zu behandeln ist.

Wer verstanden hat, daß sein Dasein untrennbar echtes Geschenk und Leihgabe ist, der wird darin die Artung des "verreisten" Gebers erkennen, der sich darum unsichtbar macht, damit wir ihn am Gabe-Charakter unseres Daseins erkennen - denn darin ist er gegenwärtig, "denn keinem von uns ist er fern" (Apg 17,27), "seine Unsichtbarkeit wird, am Gewirkten erkennbar, geschaut" (Röm 1,20). Andere, denen diese Schau des Unsichtbaren am Gewirkten nicht gelingt, schreien freilich den ganzen Tag: "Wo ist dein Gott?" Und da sie ihn (weil sie so schreien) nicht finden, werden sie sich im Bereich dessen, was sie zu erkennen vermögen, einen Gott-Ersatz bilden: "Nichtigkeiten" (Röm 1,21).

Der Mann in der Parabel, der nur ein Talent erhalten hat, hat die Einheit von Geschenk und Leihgabe nicht verstanden. Er erkennt im Geschenk die Güte nicht, sondern nur die Forderung, und verstrickt sich deshalb in  offenen Widerspruch. Da er zur Rechenschaft gezogen wird, bekennt er: "Ich wußte, daß du ein strenger Mann bist: du erntest, was du nicht gesät hast und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast", und "weil ich Angst hatte" - nun meint man, hätte er sich im Schweiß seines Angesichts angestrengt, diesem unerbittlichen Hernn zu genügen, aber nein: "weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde vergraben. Da hast du es wieder."
Sein Dasein hat er im Zeichen der Angst empfangen, einer lähmenden Angst, daraus etwas dem Sinn des Geschenkes Entsprechendes zu wirken. Was er vergrub, war der Sinn für Gabe und Fruchtbarkeit , und so wurde die Gabe selbst für ihn sinnlos. Er gibt das Empfangene nicht mit der darin liegenden Fruchtbarkeit zurück, sondern wirft es dem Geber hin, ähnlich wie Judas die Silberlinge im Tempel hinwirft, da weder er noch die Hohenpriester mehr Verwendung dafür haben (Mt 27,5). Dem "faulen Knecht" wird weggenommen, was er hatte , ohne es zu verwerten, und dem gegeben, der das Wesen der Gabe erkannt hat. "Wer nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat" (Mt 25,29), heißt also: Wer im "verreisten Gott" den in seiner Gabe gegenwärtigen nicht erkennt - obwohl er es könnte (denn er widerspricht sich damit selbst) -, für den wird sein Dasein (das "er hat") so wertlos, daß er an ihm nichts mehr hat.
(Hans Urs von Balthasar, Du hast Worte ewigen Lebens, 17ff.)

St. Mary Abbots, London

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