Mittwoch, 28. August 2013

Papst Benedikt XVI. über die Bekehrung des hl. Augustinus

aus dem aufliegenden flyer


Augustinus hat in seinem Buch Confessiones auf bewegende Weise den Weg seiner Bekehrung geschildert, der mit der Taufe durch Bischof Ambrosius im Dom zu Mailand an sein Ziel gekommen war. Wer die Confessiones liest, kann den Weg mitvollziehen, den Augustinus in einem langen Ringen gehen mußte, um schließlich in der Osternacht 387 am Taufbrunnen die große Wende seines Lebens zu empfangen. Wenn man das Leben des hl. Augustinus aufmerksam verfolgt, kann man sehen, daß Bekehrung nicht ein punktuelles Ereignis, sondern eben ein Weg war. Und man kann sehen, daß dieser Weg am Taufbrunnen nicht zu Ende gewesen ist. Wie das Leben Augustins vor der Taufe, so ist es auf andere Weise auch danach ein Weg der Bekehrung geblieben – bis in die Todeskrankheit hinein, in der er die Buß-Psalmen auf der Wand anbringen ließ, um sie immer vor Augen zu haben; sich selbst von der Kommunion ausschloß, um noch einmal den Weg der Buße zu gehen und das Heil als Geschenk der Erbarmungen Gottes aus den Händen Christi zu empfangen. So dürfen wir zu Recht von den »Bekehrungen« Augustins sprechen, die eine einzige große Bekehrung im Suchen nach dem Angesicht Christi und dann im Mitgehen mit ihm gewesen sind.

Ich möchte kurz von drei großen Einschnitten dieses Bekehrungsweges, von drei »Bekehrungen« sprechen. Die erste grundlegende Bekehrung war der Weg zur Christwerdung, zum Ja des Glaubens und der Taufe. Was war das Wesentliche dieses Weges? Augustinus war zum einen ein Mensch seiner Zeit, ganz von ihren Gewohnheiten und Leidenschaften, von allen Fragen und Problemen eines jungen Mannes gezeichnet. Er hat gelebt wie alle anderen auch, und doch war da etwas anders: Er ist immer ein Suchender geblieben. Er war nie einfach zufrieden mit dem Leben, wie es nun einmal ist und wie alle anderen es auch leben. Er war immer von der Frage nach der Wahrheit getrieben. Er wollte die Wahrheit finden. Herausbringen, was der Mensch ist; woher die Welt kommt; woher wir selber kommen, wohin wir gehen und wie wir das wirkliche Leben finden. Er wollte das rechte Leben finden, nicht einfach dahinleben. Die Leidenschaft für die Wahrheit ist das eigentliche Stichwort seines Lebens; die Leidenschaft für die Wahrheit hat ihn wirklich geleitet. Und da ist noch etwas Besonderes. Alles, was den Namen Christi nicht trug, reichte ihm nicht aus. Die Liebe zu diesem Namen, so sagt er uns, hatte er mit der Muttermilch getrunken (vgl. Conf. 3,4,8). Und immer glaubte er, einmal schwächer, einmal stärker, daß es Gott gibt und daß er sich unser annimmt (vgl. Conf. 6,5,8). Aber diesen Gott wirklich zu erkennen und diesen Jesus Christus wirklich kennenzulernen und mit allen Konsequenzen zu ihm ja zu sagen, das war das große Ringen seiner frühen Jahre. Er schildert uns, wie er durch die platonische Philosophie erlernt und erkannt hatte, daß am Anfang das Wort war – der Logos, der schöpferische Sinn. Aber die Philosophie, die ihn erkennen ließ, daß der Ursprung von allem der schöpferische Sinn ist, diese Philosophie zeigte ihm keinen Weg dahin; dieser Logos blieb fern und unberührbar. Erst im Glauben der Kirche fand er dann die zweite wesentliche Wahrheit: Das Wort – der Logos – ist Fleisch geworden. Und so rührt es uns an, rühren wir es an. Der Demut der Menschwerdung Gottes muß – das ist der große Schritt – die Demut unseres Glaubens antworten, der den geistigen Hochmut des Besserwissens ablegt und sich in die Gemeinschaft des Leibes Christi hineinbeugt; mit der Kirche lebt und so erst wirklich in konkrete, ja, leibliche Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott kommt. Ich brauche nicht zu sagen, wie sehr dies alles uns angeht: Suchende bleiben, sich nicht zufrieden geben mit dem, was alle sagen und tun. Den Blick auf den ewigen Gott und auf Jesus Christus nicht verlieren. Die Demut des Glaubens in der leibhaftigen Kirche Jesu Christi, des fleischgewordenen Logos, erlernen.



Seine zweite Bekehrung schildert uns der hl. Augustinus am Ende des zehnten Buches seiner Bekenntnisse mit den Worten: »Niedergedrückt von meinen Sünden und der Last meiner Armseligkeit habe ich die Flucht in die Einsamkeit versucht. Aber du hast mich gehindert, mir Kraft gegeben und mir gesagt: ›Deshalb ist Christus für alle gestorben, damit diejenigen, die leben, nicht mehr für sich selber leben, sondern für den, der für alle gestorben ist‹« (2 Kor 5,15; Conf. 10,43,70). Was ist da geschehen? Nach seiner Taufe hatte Augustinus sich entschlossen, nach Afrika zurückzukehren und dort mit seinen Freunden ein kleines Kloster gegründet. Sein Leben sollte nun ganz dem Gespräch mit Gott und dem gemeinsamen Bedenken und Beschauen der Schönheit und der Wahrheit seines Wortes gelten. So verbrachte er drei glückliche Jahre, in denen er sich am Ziel des Lebens angekommen glaubte; eine Reihe kostbarer theologisch-philosophischer Werke ist in dieser Zeit entstanden. Im Jahr 391 – vier Jahre nach der Taufe – besuchte er in der Hafenstadt Hippo einen Freund, den er für sein Kloster gewinnen wollte. Im Sonntagsgottesdienst, den er in der Kathedrale besuchte, wurde er erkannt. Der Bischof der Stadt, ein Grieche, der nur schlecht Latein sprach und mit dem Predigen Mühe hatte, redete in seiner Homilie nicht zufällig davon, daß er die Absicht habe, einen Priester wählen zu lassen, dem er auch das Predigtamt anvertrauen wolle. Unverzüglich packten die Leute Augustinus und führten ihn mit Gewalt nach vorn, damit er zum Priester in der Stadt geweiht werde. Unmittelbar nach seiner so erzwungenen Weihe schrieb Augustinus an Bischof Valerius: »… Ich fühle mich wie jemand, der nicht rudern kann und doch zum zweiten Steuermann ernannt worden ist. Das war auch der Grund, weshalb ich im stillen bei meiner Weihe geweint habe« (vgl. Ep. 21,1f.). Der schöne Traum des beschaulichen Lebens war zerrissen, das Leben Augustins von Grund auf geändert. Nun konnte er sich nicht mehr allein der Meditation in der Einsamkeit widmen. Nun mußte er mit Christus für alle leben. Seine hohen Gedanken und Erkenntnisse mußte er in das Denken und Sprechen der einfachen Menschen seiner Stadt übersetzen. Das große philosophische Lebenswerk, von dem er geträumt hatte, blieb ungeschrieben. Stattdessen wurde uns geschenkt, was mehr ist: das Evangelium übersetzt in die Sprache des täglichen Lebens und seiner Leiden. Was nun sein Alltagsleben war, hat er so beschrieben: »Unruhestifter zurechtweisen, Kleingläubige trösten, sich der Schwachen annehmen, Gegner widerlegen…, Träge wachrütteln, Streitende besänftigen, Armen helfen, Unterdrückte befreien, Gute ermutigen, Böse ertragen und – ach – alle lieben« (Serm. 340,3). »Immer wieder predigen, disputieren, ermahnen, erbauen, für jeden bereitstehen. Das ist eine große Last, ein schwerer Druck, ein mühseliges Werk« (Serm. 339,4). Dies war die zweite und immer neu zu erringende Bekehrung dieses ringenden und leidenden Menschen: Immer neu für alle da sein und nicht für die eigene Vollkommenheit, immer neu mit Christus sein Leben weggeben, damit andere Ihn, das wahre Leben finden konnten.






Es gibt noch eine dritte Markierung auf dem Bekehrungsweg des hl. Augustinus. Nach seiner Priesterweihe hatte er sich Urlaub erbeten, um die heiligen Schriften gründlicher studieren zu können. Seine erste Predigtreihe nach dieser Besinnungspause handelte von der Bergpredigt, in der er den neu von Christus gezeigten Weg des rechten Lebens, »des vollkommenen Lebens« auslegte – als die Wanderung auf dem heiligen Berg von Gottes Wort. In diesen Predigten ist noch der ganze Enthusiasmus des neu gefundenen und gelebten Glaubens zu spüren: die feste Überzeugung, daß der Getaufte, der ganz der Botschaft Christi gemäß lebe, eben »vollkommen« im Sinne der Bergpredigt sein könne. Ungefähr 20 Jahre später hat Augustinus ein Buch unter dem Titel Retractationes geschrieben, in dem er seine bisherigen Werke kritisch sichtete und da Verbesserungen vornahm, wo er inzwischen Neues gelernt hatte. Da bemerkt er zum Vollkommenheitsideal seiner Predigten über die Bergpredigt: Inzwischen habe ich erkannt, daß nur einer wirklich vollkommen ist und daß nur in einem die Worte der Bergpredigt ganz erfüllt sind: in Jesus Christus selbst. Die ganze Kirche aber – wir alle, die Apostel eingeschlossen – müssen jeden Tag beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern (vgl. Retr. I,19,1–3). Augustinus hatte eine letzte Demut gelernt – nicht nur die Demut, sein großes Denken dem einfachen Glauben der Kirche einzufügen, nicht nur die Demut, seine großen Einsichten in die Einfachheit der Verkündigung zu übersetzen, sondern auch die Demut anzuerkennen, daß er und die ganze pilgernde Kirche immerfort der barmherzigen und täglich vergebenden Güte Gottes bedürfen und daß wir dann Christus, dem einzig Vollkommenen, am meisten ähnlich werden, wenn wir wie er zu Menschen der Barmherzigkeit werden.

In dieser Stunde danken wir Gott für das große Licht, das von der Weisheit und der Demut des hl. Augustinus ausgeht, und wir bitten den Herrn darum, daß er uns allen Tag um Tag die nötige Bekehrung schenke und uns so zum wahren Leben führen möge. Amen.


(aus der Ansprache von Papst Benedikt XVI. in Pavia, 22. April 2007)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen