Anselm von Canterbury, Bischof und Kirchenlehrer. Anselm wurde um 1033 zu Aosta in Piemont aus lombardischem Adel geboren, lebte seit 1060 als Mönch im Kloster Bec, das er seit 1078 als Abt leitete. Seine Bemühungen, die Mönche zu einem höheren geistigen Leben zu führen, waren weit über sein Kloster hinaus von Erfolg gekrönt.
1093 zum Erzbischof von Canterbury erhoben, erwies sich Anselm als unentwegter Verteidiger der Freiheit der Kirche gegenüber dem englischen Königtum. Anselm war ein glühender Verfechter der gregorianischen Reform und lehnte Laieninvestitur und Lehenseid der Bischöfe ab. Dafür musste Anselm zweimal in die Verbannung gehen. Erst der Kompromiss von Bec brachte 1106 eine Verständigung zwischen dem Erzbischof und dem englischen König.
Als philosophisch-theologischer Schriftsteller hatte Anselm großen Einfluss auf die mittelalterliche Gotteslehre. Anselm wird mit Recht „Vater der Scholastik“ genannt. In seiner berühmten Schrift „Cur Deus homo“ vertieft er die kirchliche Lehre von der unendlichen Genugtuung, die Christus durch seinen Sühnetod dem Vater darbringt. Anselm starb am 21. April 1109 und wurde in der Kathedrale von Canterbury beigesetzt.
(Martyrologium Sancrucense)
In seiner Schrift "Cur Deus homo" CDH (Warum Gott Mensch geworden ist) behandelt Anselm die Frage, warum Gott Mensch geworden ist, so daß er durch seinen Tod die Menschen rettete, da er es doch augenscheinlich auf andere Weise hätte tun können.
Kardinal Schönborn kommt, nachdem er die Frage Anselms ausführlich im Buch "Gott sandte seinen Sohn" behandelt hat, zu folgendem Ergebnis (252f):
"Sünde bedeutet für Anselm, Gott das Geschuldete nicht zu geben, das heißt, den eigenen freien Willen nicht auf Gott auszurichten. Die Wiederherstellung der durch die Sünde gestörten Ordnung ist aus Gottes Gerechtigkeit heraus gefordert, die die göttliche Ordnung des Ganzen garantiert. Diese Wiederherstellung muß der Mensch erbringen, kann es aber nicht wegen der Schwere der Sünde. Deshalb wurde Gott selber Mensch, um als Mensch den Menschen zu geben, was sie brauchen, aber nicht leisten können: Die Wiedergutmachung der Sünde. Diese hat der Gottmensch Christus geleistet, indem er freiwillig, aus seinem menschlichen Willen heraus sein Leben hingab für alle Menschen, an ihrer Statt, stellvertretend für alle. Eine solche Wiedergutmachung ist von der Gerechtigkeit Gottes her gefordert, damit seine Ordnung nicht für immer durch die Sünde zerstört wird.
Am Schluß von Cur Deus homo kommt Anselm nochmals auf die Frage zurück, wie sich diese Gerechtigkeit zur Barmherzigkeit Gottes verhalte. Was zeitweise so aussah wie ein streng rechtliches Gerechtigkeitsdenken erweist sich als höchster Ausdruck der Barmherzigkeit.
"Die Barmherzigkeit Gottes aber, die dir verloren zu gehen schien, als wir die Gerechtigkeit Gottes und die Sünde des Menschen betrachteten, haben wir so groß und so übereinstimmend mit der Gerechtigkeit gefunden, daß sie größer und gerechter nicht gedacht werden kann. Denn was könnte barmherziger gedacht werden, als wenn Gott Vater zu dem Sünder, der zu ewigen Peinen verurteilt ist und nichts hat, wodurch er sich daraus befreien könnte, spricht: nimm meinen Erstgeborenen und gib ihn für dich; und der Sohn: nimm mich und erlöse dich?
So sprechen sie gleichsam, wenn sie uns zum christlichen Glauben rufen und ziehen. Was ist auch gerechter, als daß jener, dem ein Preis, der größer ist als jede Schuld, gegeben wird, jede Schuld erläßt, wenn er mit der gebührenden Liebe gegeben wird?" (CDH II, 20,152-153)
Hier zeigt sich anschaulich, wie sehr Anselms Satisfaktionslehre Gnadenlehre ist: Gottes Barmherzigkeit ist die Quelle seines Heilsratschlusses. Er gibt uns, womit wir uns wieder mit ihm versöhnen können. "Nimm mich und erlöse dich!" - beide Pole werden durchgehalten, Gottes Gnadeninitiative und das Spiel der menschlichen Freiheit. Großartig kommt dies zum Ausdruck im Schlußsatz, der eine Art Synthese des Ganzen darstellt. Alle Elemente sind hier nochmals zusammen-
gefaßt. Es ist gerecht, daß Gott alle Schuld erläßt, wenn ihm ein Preis gezahlt wird, der größer ist als alle Schuld, wenn dieser Preis mit der gebührenden Liebe gegeben wird.
Am Ende dieser Darlegung der Satisfaktionslehre kann gesagt werden: Wiedergutmachung im Sinne Anselms kann nur im Preis der Liebe bestehen, denn Sünde als Raub dessen, was Gott geschuldet ist, ist letztlich ein Bruch des Bundes, der nur durch die Wiederherstellung des Bundes geheilt werden kann. Anselms Soteriologie ist wirkliche Bundestheologie, die deshalb die Verantwortung der menschlichen Freiheit so hoch ansetzt, weil der Mensch als Bundespartner ernst genommen wird."
Anselm von Canterbury, Glasfenster von Harry Stammers Kathedrale von Canterbury |
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