Samstag, 29. April 2017

Katharina von Siena, Mitpatronin Europas

Grab der hl. Katharina von Siena, S. Maria Sopra Minerva, Rom


6. Nur wenig jünger (als Birgitta von Schweden) ist die andere große Frauengestalt, die hl. Katharina von Siena, deren Rolle in den Entwicklungen der Kirchengeschichte und selbst bei der lehrmäßigen Vertiefung der geoffenbarten Botschaft tiefe Anerkennung gefunden hat, die in der Verleihung des Titels einer Kirchenlehrerin gipfelte.
Die 1347 in Siena geborene Katharina war von frühester Kindheit an mit außerordentlichen Gnaden ausgestattet, die es ihr erlaubten, auf dem vom hl. Dominikus vorgezeichneten geistlichen Weg zwischen Gebet, asketischer Strenge und Werken der Nächstenliebe rasch zur Vollkommenkeit voranzuschreiten. Sie war zwanzig Jahre alt, als Christus ihr durch das mystische Symbol des Brautringes seine besondere Liebe offenbarte. Es war die Krönung einer Vertrautheit, die in der Verborgenheit und Kontemplation, auch außerhalb der Mauern eines Klosters, durch das ständige Verweilen an jener geistlichen Wohnung herangereift war, die sie gern die »innere Zelle« nannte. Das Schweigen dieser Zelle, das Katharina für die göttlichen Eingebungen in hohem Maße bereit machte, konnte sich schon bald mit einem ganz außerordentlichen apostolischen Eifer verbinden. Viele Menschen, darunter auch Kleriker, sammelten sich als Schüler um sie und sprachen ihr die Gabe einer geistlichen Mutterschaft zu. Ihre Briefe verbreiteten sich in Italien, ja über ganz Europa. Denn die junge Frau aus Siena traf mit sicherem Ton und glühenden Worten den Kern der kirchlichen und gesellschaftlichen Probleme ihrer Zeit.

Mit unermüdlichem Einsatz verwendete sich Katharina für die Lösung der vielfältigen Konflikte, von denen die Gesellschaft ihrer Zeit zerrissen wurde. Ihre Bemühungen um Friedensstiftung erreichten europäische Herrscher wie Karl V. von Frankreich, Karl von Durazzo, Elisabeth von Ungarn, Ludwig den Großen von Ungarn und Polen sowie Johanna von Neapel. Bedeutend war ihre Initiative zur Versöhnung der Stadt Florenz mit dem Papst. Indem sie die Parteien auf den »gekreuzigten Christus und die sanftmütige Maria« hinwies, zeigte sie, daß es für eine an den christlichen Werten orientierte Gesellschaft niemals einen Anlaß zu einem so schwerwiegenden Streit geben kann, daß man die Vernunft der Waffen den Waffen der Vernunft vorziehen darf

7. Katharina wußte freilich genau, daß man nicht wirksam zu dieser Schlußfolgerung gelangen konnte, wenn nicht zuvor die Herzen von der Kraft des Evangeliums geformt worden waren. Daher rührt die Dringlichkeit der Reform der Gewohnheiten, die sie allen ohne Ausnahme vorschlug. Die Könige erinnerte sie daran, daß sie nicht regieren konnten, als wäre das Königreich ihr »Eigentum«: Vielmehr sollten sie sich bewußt sein, daß sie Gott über die Machtausübung Rechenschaft geben müssen. Aus diesem Wissen heraus sollten sie die Aufgabe annehmen, »die heilige und wahre Gerechtigkeit« dadurch zu erhalten, daß sie sich zu »Vätern der Armen« machen (vgl. Brief Nr. 235 an den König von Frankreich). Die Ausübung der Herrschergewalt war nämlich nicht von der Übung der Nächstenliebe zu trennen, die zugleich die Seele des persönlichen Lebens und der politischen Verantwortung ist (vgl. Brief Nr. 357 an den König von Ungarn).
Mit derselben Eindringlichkeit wandte sich Katharina an die Geistlichen jeden Ranges, um von ihnen die strengsten Konsequenzen im Leben und im pastoralen Dienst zu verlangen. Der freie, kraftvolle und eindringliche Ton, mit dem sie Priester, Bischöfe und Kardinäle ermahnt, macht Eindruck. Im Garten der Kirche – sagte sie – müßten die faulenden Pflanzen ausgerissen und durch frische, duftende »neue Pflanzen« ersetzt werden. Gestärkt durch ihre Vertrautheit mit Christus scheute sich die Heilige aus Siena nicht, selbst den Papst, den sie als »sanftmütigen Christus auf Erden« zärtlich liebte, mit aller Offenheit auf den Willen Gottes hinzuweisen, der ihm gebot, das von irdischer Vorsicht und weltlichen Interessen diktierte Zaudern und Zögern endlich aufzugeben und von Avignon nach Rom zum Petrusgrab zurückzukehren.

Mit derselben Leidenschaft opferte sich Katharina dafür auf, die Spaltungen abzuwenden, die sich bei der Papstwahl nach dem Tod Gregors XI. abzeichneten: Auch in dieser Situation appellierte sie noch einmal leidenschaftlich an die unverzichtbaren Gründe, die für den Erhalt der Gemeinschaft sprachen. Das war das höchste Ideal, an dem sie ihr ganzes Leben ausgerichtet hatte, während sie sich vorbehaltlos für die Kirche verzehrte. Das sollte sie selbst auf dem Sterbebett ihren geistlichen Kindern bezeugen: »Seid gewiß, meine Lieben, daß ich das Leben für die heilige Kirche hingegeben habe« (Seliger Raimondo da Capua, Leben der heiligen Katharina von Siena, Lib. III, c. IV).


Johannes Paul II., 1.Oktber 1999, aus dem APOSTOLISCHES SCHREIBEN IN FORM EINES »MOTU PROPRIO« ZUR ERKLÄRUNG DER HL. BIRGITTA VON SCHWEDEN, DER HL. KATHARINA VON SIENA UND DER HL. TERESIA BENEDICTA A CRUCE ZU MITPATRONINNEN EUROPAS

Grab der hl. Katharina von Siena, S. Maria sopra Minerva, Rom

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