Sonntag, 3. April 2016

Johannes Paul II. und Schwester Faustyna

Anbetung der Weisen und Johannes Paul II, der auf Maria und Jesus verweist, Johannes Paul II. Heiligtum, Krakau


(....) Treten wir also mit einem Blick auf den Papst der Barmherzigkeit, auf Papst Johannes Paul II., in dieses große Geheimnis ein. Ich beginne mit dem 2. April 2005, seinem "dies natalis", seinem Geburtstag zum ewigen Leben. Wir erinnern uns alle an diesen unvergesslichen Tag. Schon lange hatte sich die Krankheit des Papstes hingezogen. Er konnte die Ostertage nicht mehr selber feiern. Am Ostersonntag 2005 ist er vielen unvergesslich in Erinnerung. Er erschien an seinem Fenster und wollte einen Ostergruß sagen, aber es war nur mehr eine stumme Geste des Segens und dieses unvergesslich schmerzliche Gesicht des verstummten Papstes, der nur mehr stumm leiden und den Segen geben konnte.

Ich verbrachte die Osterwoche anschließend im Heiligen Land, und am Freitag der Osteroktav hatte ich das sehr seltene Glück und Privileg, in Jerusalem im Abendmahlsaal die Heilige Messe zu feiern. Wir waren acht Kardinäle, etwa 30 Bischöfe, Priester und Laien. Der Abendmahlsaal war ganz dicht gefüllt.

Zu Beginn der Messe kam die Nachricht aus Rom, der Heilige Vater liege im Sterben, jeden Moment sei mit seinem Ableben zu rechnen. Sie können sich denken, wie intensiv wir in diesem Moment im Abendmahlsaal, dort wo Jesus das Testament seiner Liebe, die Eucharistie eingesetzt hat, bei dieser Eucharistie für den Heiligen Vater gebetet haben. Am Ende der Feier kam eine gewisse Entwarnung, es gehe ihm wieder etwas besser, und mein erster Gedanke war dabei: Möge er es noch bis zum Sonntag schaffen. Der Weiße Sonntag, der Sonntag der Barmherzigkeit wäre doch das richtige Sterbedatum für Papst Johannes Paul II.
Wir erinnern uns, wie es dann weiterging. Am Samstag fiel er in Agonie. Um 20 Uhr feierte sein Sekretär, der heutige Kardinal Dziwisz, die Heilige Messe, es war die Messe vom Sonntag der Barmherzigkeit. Der Heilige Vater hat noch einige Tropfen vom kostbaren Blut und so zum letzten Mal die Kommunion empfangen. Um 21:37 Uhr ist er zum barmherzigen Vater heimgekehrt.


Am Weißen Sonntag des Heiligen Jahres 2000 erklärte Papst Johannes Paul II., fortan soll dieser Sonntag nach Ostern "Sonntag der Barmherzigkeit" heißen. Gleichzeitig hat er an diesem Tag Schwester Faustyna Kowalska, die einfache Schwester aus Krakau, heilig gesprochen, die erste Heilige des neuen Jahrtausends. So endete sein irdischer Weg am Sonntag der Barmherzigkeit. Es ist schwer, in diesem Zusammentreffen nicht ein "Zeichen des Himmels" zu sehen, gewissermaßen die Unterschrift Gottes unter ein Lebensprogramm, das Papst Johannes Paul II. oft und ausdrücklich als seine Sendung bezeichnet hat. 1997 hat er in Łagiewniki, in dem Ort, wo Schwester Faustyna gelebt hat und begraben ist, gesagt: "Die Botschaft von der Göttlichen Barmherzigkeit hat in gewisser Weise das Bild meines Pontifikats geprägt" (7. Juni 1997).
So lade ich Sie jetzt ein, mit mir in den Weg von Papst Johannes Paul II. hineinzuschauen, wie er dieses Geheimnis erlebt, gelebt, durchdacht und vermittelt hat.




(...) 1942 war Karol Wojtyła in das "Geheimseminar" eingetreten, das Kardinal Sapieha, der mutige Erzbischof von Krakau, gegründet hat. Ein Mitseminarist, Andreas Deskur, heute Kurienkardinal im Rollstuhl, schwerkrank, machte ihn aufmerksam auf die Botschaft von der Göttlichen Barmherzigkeit von einer gewissen Schwester Faustyna Kowalska, die 1905 geboren war – im Geburtsjahr von Kardinal König – und 1938 33jährig gestorben war. Er wusste also damals schon von dieser einfachen Schwester, an deren Kloster er tagtäglich vorbeiging zur Zwangsarbeit in der Chemiefabrik. Er hörte schon damals von den Botschaften, die sie von Jesus bekommen hatte und in eindrucksvoller Weise in ihrem Tagebuch festhielt. Als Weihbischof von Krakau und dann als Erzbischof und Kardinal bemühte Karol Wojtyła sich sehr um die Seligsprechung von Schwester Faustyna. Er musste einige Widerstände überwinden, denn das Heilige Offizium, wie Glaubenskongregation damals hieß, hatte heftige Bedenken gegen die Schriften von Schwester Faustyna, wie sich dann herausstellte, vor allem durch fehlerhafte, missverständliche Übersetzungen. Als Papst konnte Johannes Paul II. sie dann schließlich 1993 selig- und im Jahr 2000 heiligsprechen.

Wie zentral dieses Thema in seinem Leben war, hat er immer wieder betont. Vor allem aber sah er in den Botschaften von Schwester Faustyna, die im Grunde nichts anderes sagen, als was das Evangelium uns sagt, eine Antwort auf die unbeschreiblichen Ausmaße des Bösen im 20. Jahrhundert, deren Zeuge er selber in seinem Leben wurde, die Gräuel des Nationalsozialismus, die unvorstellbaren Leiden des polnischen Volkes unter der Nazibesetzung und der nachfolgende Kommunismus. Im Rückblick auf die Jahre des Leidens hat er 1997 gesagt:
"Die Botschaft von der Göttlichen Barmherzigkeit ist mir immer nahe und lieb gewesen. Es ist, als hätte die Geschichte sie in die tragische Erfahrung des 2. Weltkrieges eingeschrieben. In diesen schweren Jahren war sie eine besondere Hilfe und eine unerschöpfliche Quelle der Hoffnung, nicht nur für das Volk von Krakau, sondern für die ganze polnische Nation. Das war auch meine persönliche Erfahrung, die ich mit mir nahm auf den Stuhl Petri, und die in gewissem Sinn das Bild meines Pontifikats prägt" (7. Juni 1997).

Nun muss man die Frage stellen: Wollte Papst Johannes Paul II. damit eine bestimmte Frömmigkeitsform besonders fördern? Sie kennen vielleicht das Bild von Krakau-Łagiewniki des barmherzigen Jesus mit den Strahlen, die von ihm ausgehen, sie kennen vielleicht den Rosenkranz der Barmherzigkeit, die Stunde der Barmherzigkeit. Er hat diese Frömmigkeitsformen sicher geschätzt, aber er hat sie selten thematisiert. Es geht dabei, so glaube ich, um etwas Umfassenderes. In den Botschaften von Schwester Faustyna fand er in einfacher Sprache das thematisiert, was die große Herausforderung für unsere Tage ist. Wir wissen nach der Lehre der Kirche: Privatoffenbarungen – und hier handelt es sich um Privatoffenbarungen, auch wenn sie wie diese von der Kirche anerkannt sind – sind für uns nicht verpflichtend. Niemand muss die Botschaften von Schwester Faustyna annehmen. Aber Papst Johannes Paul II. hat im Licht dieser Botschaften, die diese einfache Ordensfrau bekommen hat, ein Leben lang über das große Geheimnis der Göttlichen Barmherzigkeit nachgedacht und versucht, es auch in seine Bischofstätigkeit und schließlich in sein Papstamt einfließen zu lassen. Ich denke, es waren vor allem zwei Themen, die ihn dabei bewegt haben: das Geheimnis des Vaters und die Frage, was die Flut des Bösen in unserer Zeit eindämmen kann.

Auf diese beiden Fragen hat er immer wieder versucht, Antwort zu geben, ausdrücklich in der Enzyklika "Dives in misericordia", "Gott, der reich ist an Erbarmen". Es ist seine zweite Enzyklika, 1980 veröffentlicht, und sie steht im Zusammenhang mit der ersten und der dritten: die erste über Christus, "Redemptor hominis", kurz nach seinem Pontifikatsbeginn, die dritte 1986 über den Heiligen Geist, "Dominum et vivificantem". Die zweite also handelt vom Erbarmen und von Gottvater. Wir wissen, er hat früh seine Mutter verloren, bald starb auch sein Bruder, und er blieb mit seinem Vater alleine. Dieses große Vorbild einer gelebten Vaterschaft hat ihn zutiefst in seinem Glauben und in seiner Haltung geprägt. Papst Johannes Paul II. ist im Laufe seines Lebens immer mehr selber zu einem unvergleichlichen Bild der Vaterschaft geworden.
Ich werde nie vergessen, als in den Tagen vor seinem Begräbnis Hunderttausende, man schätzt vier Millionen, Menschen an seinem Katafalk vorbeigezogen sind. Ich habe immer wieder junge Menschen in Rom gefragt: "Was bewegt euch, warum kommt ihr her, warum steht ihr 15, 18 Stunden an, um dann kurz vorbeigehen zu können an dem aufgebahrten Papst?" Und fast unisono war immer die Antwort: "Wir haben einen Vater verloren. Er hat uns so viel gegeben."


Johannes Paul II. Heiligtum, Oberkirche, Mosaiken von Rupnik

(....) Ich möchte schließen mit einem der schönsten Gebete von Schwester Faustyna. Ich werde es nicht zur Gänze beten, da es etwas länger ist, aber ich empfehle es Ihnen. Es ist ein Gebet, in dem Schwester Faustyna darum bittet, dass die Barmherzigkeit Jesu, diese tiefste Haltung, die er gewissermaßen aus dem Herzen Gottes auf die Welt gebracht hat, uns durch und durch prägen möge, ja gewissermaßen unsere Seinsform, unsere Lebensform werden möge. (Aus: "Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska". Seite 80-81, Parvis-Verlag, Hauteville, CH, 1990)
 

"Ich möchte mich ganz in Deine Barmherzigkeit umwandeln, um so ein lebendiges Abbild von Dir zu sein, o Herr, möge diese größte Eigenschaft Gottes, seine unergründliche Barmherzigkeit, durch mein Herz und meine Seele hindurch zu meinen Nächsten gelangen.
Hilf mir, o Herr, dass meine Augen barmherzig schauen, dass ich niemals nach äußerem Anschein verdächtige und richte, sondern wahrnehme, was schön ist in den Seelen meiner Nächsten und ihnen zu Hilfe komme.
Hilf mir, dass mein Gehör barmherzig wird, damit ich mich den Bedürfnissen meiner Nächsten zuneige, dass meine Ohren nicht gleichgültig bleiben für Leid und Klagen der Nächsten.
Hilf mir, Herr, dass meine Zunge barmherzig wird, dass ich niemals über meinen Nächsten abfällig rede, sondern für jeden ein Wort des Trostes und der Vergebung habe.
Hilf mir, Herr, dass meine Hände barmherzig und voll guter Taten sind, damit ich meinem Nächsten nur Gutes tue und schwierigere, mühevollere Arbeit auf mich nehme.
Hilf mir, Herr, dass meine Füße barmherzig sind, dass sie meinen Nächsten immer zu Hilfe eilen und die eigene Mattheit und Ermüdung beherrschen. Meine wahre Rast ist im Dienst am Nächsten.
Hilf mir, Herr, dass mein Herz barmherzig ist, auf dass ich alle Leiden der Nächsten empfinde, dass ich niemandem mein Herz versage, aufrichtigen Umgang auch mit denen pflege, von denen ich weiß, dass sie meine Güte missbrauchen werden; ich selbst werde mich im barmherzigsten Herzen Jesu verschließen. Über eigene Leiden will ich schweigen. Deine Barmherzigkeit, o mein Herr, soll in mir ausruhen (...)
O mein Jesus, verwandle mich in Dich, denn Du vermagst alles." (163)
Amen.


(aus der Katechese von Christoph Kardinal Schönborn vom 14. Oktober 2007 über die Barmherzigkeit)



Faustina,
Geschenk Gottes an unsere Zeit,
Geschenk Polens an die ganze Kirche,
lass uns auf deine Fürsprache die Tiefe
des göttlichen Erbarmens erkennen.
Hilf uns, es im eigenen Leben zu erfahren
und vor den Brüdern zu bezeugen.
Deine Botschaft des Lichtes und der Hoffnung
verbreite sich in der ganzen WElt,
dränge die Sünder zur Umkehr,
besänftige Rivalitäten und Hass,
erschließe die Herzen der Menschen und Nationen
für die Übung der Brüderlichkeit. Amen.
(Johannes Paul II., in: Meine Gebete für euch, 122)

Gnadenbild der Göttlichen Barmherzigkeit, Bazylika św. Floriana w Krakowie,
Basilika zum hl. Florian, Krakau

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