Samstag, 7. Juni 2025

Der Weg Mariens und der Glaubensweg der Kirche (Redemptoris mater 26)

 

Pfingsten im Abendmahlsaal, St Giles, Cambridge

26. Die Kirche, von Christus auf den Aposteln erbaut, ist sich dieser Großtaten Gottes am Pfingsttag voll bewußt geworden, als die im Abendmahlssaal Versammelten »mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab« (Apg 2, 4). In diesem Augenblick beginnt auch jener Weg des Glaubens, die Pilgerschaft der Kirche durch die Geschichte der Menschen und der Völker. Man weiß, daß am Beginn dieses Weges Maria gegenwärtig ist, die wir mitten unter den Aposteln im Abendmahlssaal »mit ihren Gebeten die Gabe des Geistes erflehen« sehen [59].

Ihr Glaubensweg ist in einem gewissen Sinne länger. Der Heilige Geist ist bereits auf sie herabgekommen, die bei der Verkündigung seine treue Braut geworden ist, indem sie das ewige Wort des wahren Gottes aufnahm und sich dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwarf und seiner Offenbarung willig zustimmte, ja, sich im »Gehorsam des Glaubens« ganz und gar Gott überließ [60] und darum dem Engel antwortete: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast«. Der Glaubensweg Marias, die wir betend im Abendmahlssaal sehen, ist also länger als der Weg der dort Versammelten: Maria geht ihnen »voraus« und auch »voran« [61]. Der Pfingsttag in Jerusalem ist, außer durch das Kreuz, auch durch den Augenblick der Verkündigung in Nazaret vorbereitet worden. Im Abendmahlssaal trifft sich der Weg Marias mit dem Glaubensweg der Kirche. In welcher Weise?

Unter denen, die im Abendmahlssaal im Gebet verharrten und sich darauf vorbereiteten, »in die ganze Welt« zu ziehen, nachdem sie den Heiligen Geist empfingen, waren einige nach und nach durch Jesus vom Anfang seiner Sendung in Israel an berufen worden. Elf von ihnen waren als Apostel eingesetzt worden, und ihnen hatte Jesus die Sendung übergeben, die er selbst vom Vater erhalten hatte: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20, 21), so hatte er den Aposteln nach der Auferstehung gesagt. Vierzig Tage später, vor seiner Rückkehr zum Vater, hatte er hinzugefügt: Wenn »die Kraft des Heiligen Geistes ... auf euch herabkommen wird, ... werdet ihr meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde« (vgl. Apg 1, 8). Diese Sendung der Apostel beginnt mit dem Augenblick, da sie den Abendmahlssaal in Jerusalem verlassen. Die Kirche wird geboren und wächst nun durch das Zeugnis, das Petrus und die anderen Apostel von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, ablegen (vgl. Apg 2, 31–34; 3, 15–18; 4, 10–12; 5, 30–32).

Maria hat nicht diese apostolische Sendung direkt empfangen. Sie befand sich nicht unter denen, die Jesus, als er ihnen jene Sendung verlieh, in die ganze Welt sandte, um alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen (vgl. Mt 28, 19). Sie war jedoch im Abendmahlssaal, wo sich die Apostel darauf vorbereiteten, diese Sendung mit dem Kommen des Geistes der Wahrheit zu übernehmen: Dort war sie bei ihnen. In ihrer Mitte war sie »beharrlich im Gebet« als die »Mutter Jesu« (Apg 1, 13–14), das heißt als Mutter des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Und jener erste Kern derer, die im Glauben »auf Jesus, den Urheber des Heils« [62] schauten, war sich bewußt, daß Jesus der Sohn Marias war und sie seine Mutter und daß sie so vom Augenblick der Empfängnis und Geburt an eine besondere Zeugin des Geheimnisses Jesu war, jenes Geheimnisses, das sich vor ihren Augen in Kreuz und Auferstehung ausgeprägt und bestätigt hatte. Die Kirche »schaute« also vom ersten Augenblick an auf Maria von Jesus her, wie sie auf Jesus von Maria her »schaute«. Diese wurde für die Kirche von damals und für immer eine einzigartige Zeugin der Kindheitsjahre Jesu und seines verborgenen Lebens in Nazaret, da sie »alles bewahrte, was geschehen war, und in ihrem Herzen darüber nachdachte« (Lk 2, 19; vgl. v. 51).

Aber in der Kirche von damals und immer war und ist Maria vor allem jene, die »selig ist, weil sie geglaubt hat«: Als erste hat sie geglaubt. Vom Augenblick der Verkündigung und der Empfängnis an, seit der Stunde der Geburt im Stall von Betlehem folgte Maria Jesus Schritt für Schritt auf ihrer mütterlichen Pilgerschaft des Glaubens. Sie folgte ihm all die Jahre seines verborgenen Lebens in Nazaret, sie folgte ihm auch in der Zeit der äußeren Trennung, als er inmitten von Israel »zu handeln und zu lehren« begann (vgl. Apg 1, 1), sie folgte ihm vor allem in der tragischen Erfahrung von Golgota. Jetzt, da Maria am Beginn der Kirche mit den Aposteln im Abendmahlssaal von Jerusalem weilte, fand ihr Glaube, der aus den Worten der Verkündigung geboren war, seine Bestätigung. Der Engel hatte ihr damals gesagt: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und ... über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben«. Die gerade zurückliegenden Ereignisse von Kalvaria hatten diese Verheißung ins Dunkel gehüllt; und doch ist auch unter dem Kreuz der Glaube Marias nicht erloschen. Sie war dort immer noch jene, die (wie Abraham) »gegen alle Hoffnung voll Hoffnung« geglaubt hat (Röm 4, 18). Und siehe, nach der Auferstehung hatte die Hoffnung ihr wahres Antlitz enthüllt, und die Verheißung hatte begonnen, Wirklichkeit zu werden. Tatsächlich hatte Jesus ja, ehe er zum Vater zurückkehrte, den Aposteln gesagt: »Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern. ... Seid gewiß! Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (vgl. Mt 28, 19. 20). So hatte derjenige gesprochen, der sich durch seine Auferstehung als Sieger über den Tod erwiesen hatte, als Herrscher des Reiches, das nach der Ankündigung des Engels »kein Ende haben wird«. (Johannes Paul II, Redemptoris mater, 26)

Glasmalerei in der St Aloysius R. C. Church, London (B16, Regina Coeli, 15. Mai 2005)

Glasfenster im Stift Lambrecht (Gebet von Johannes Paul II. in Vita consecrata)

 

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