Sonntag, 8. Juni 2025

Der Weg Mariens und der Glaubensweg der Kirche (Redemptoris mater 27,28)


 

 27. Jetzt, an den Anfängen der Kirche, am Beginn ihres langen Weges im Glauben, der mit dem Pfingstereignis in Jerusalem anfing, war Maria mit allen zusammen, die den Keim des »neuen Israels« bildeten. Sie war mitten unter ihnen als außerordentliche Zeugin des Geheimnisses Christi. Und die Kirche verharrte zusammen mit ihr im Gebet und »betrachtete sie« zugleich »im Licht des ewigen Wortes, das Mensch geworden war«. So sollte es immer sein. Wenn die Kirche stets tiefer »in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung eindringt«, denkt sie ja dabei in tiefer Verehrung und Frömmigkeit auch an die Mutter Christi [63]. Maria gehört untrennbar zum Geheimnis Christi, und so gehört sie auch zum Geheimnis der Kirche von Anfang an, seit dem Tag von deren Geburt. Zur Grundlage all dessen, was die Kirche von Anfang an ist und was sie von Generation zu Generation inmitten aller Nationen der Erde unaufhörlich werden muß, gehört diejenige, die »geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lk 1, 45). Gerade dieser Glaube Marias, der den Beginn des neuen und ewigen Bundes Gottes mit der Menschheit in Jesus Christus anzeigt, dieser heroische Glaube »geht« dem apostolischen Zeugnis der Kirche »voran« und bleibt im Herzen der Kirche zugegen, verborgen als ein besonderes Erbe der Offenbarung Gottes. Alle, die von Generation zu Generation das apostolische Zeugnis der Kirche annehmen, haben an diesem geheimnisvollen Erbe Anteil und nehmen gewissermaßen teil am Glauben Marias.

Auch im Pfingstereignis bleiben die Worte Elisabets »Selig, die geglaubt hat« mit Maria verbunden; sie folgen ihr durch alle Zeiten überall dorthin, wo sich durch das apostolische Zeugnis und den Dienst der Kirche die Kenntnis vom Heilsgeheimnis Christi ausbreitet. Auf diese Weise erfüllt sich die Verheißung des Magnifikats: »Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig« (Lk 1, 48–49). Die Erkenntnis des Geheimnisses Christi führt ja zur Lobpreisung seiner Mutter in der Form einer besonderen Verehrung für die Gottesgebärerin. In dieser Verehrung ist aber immer der Lobpreis ihres Glaubens eingeschlossen, weil die Jungfrau von Nazaret nach den Worten Elisabets vor allem durch diesen Glauben selig geworden ist. Alle, die unter den verschiedenen Völkern und Nationen der Erde die Generationen hindurch das Geheimnis Christi, des menschgewordenen Wortes und Erlösers der Welt, gläubig aufnehmen, wenden sich nicht nur mit Verehrung an Maria und gehen vertrauensvoll zu ihr wie zu einer Mutter, sondern suchen auch in ihrem Glauben Kraft für den eigenen Glauben. Und gerade diese lebendige Teilnahme am Glauben Marias entscheidet über ihre besondere Gegenwart bei der Pilgerschaft der Kirche als neues Gottesvolk auf der ganzen Erde.

28. Das Konzil sagt hierzu: »Maria ... (ist) zuinnerst in die Heilsgeschichte eingegangen. ... Daher ruft ihre Verkündigung und Verehrung die Gläubigen hin zu ihrem Sohn und seinem Opfer und zur Liebe des Vaters« [64]. Deshalb wird in gewisser Weise der Glaube Marias auf der Grundlage des apostolischen Zeugnisses der Kirche unaufhörlich zum Glauben des Gottesvolkes auf seinem Pilgerweg: zum Glauben der Personen und Gemeinden, der Kreise und Gemeinschaften sowie der verschiedenen Gruppen, die es in der Kirche gibt. Es ist ein Glaube, der mit Verstand und Herz zugleich vermittelt wird; man findet ihn oder erlangt ihn wieder stets durch das Gebet. »Daher blickt die Kirche auch in ihrem apostolischen Wirken mit Recht zu ihr auf, die Christus geboren hat, der dazu vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau geboren wurde, daß er durch die Kirche auch in den Herzen der Gläubigen geboren werde und wachse« [65].

Heute, da wir uns auf dieser Pilgerschaft des Glaubens dem Ende des zweiten christlichen Jahrtausends nähern, erinnert die Kirche durch die Lehre des II. Vatikanischen Konzils daran, wie sie sich selber sieht, als »dieses eine Gottesvolk«, das »in allen Völkern der Erde wohnt«; sie erinnert an die Wahrheit, nach der alle Gläubigen, auch wenn sie »über den Erdkreis hin verstreut (sind), mit den übrigen im Heiligen Geiste in Gemeinschaft stehen« [66], so daß man sagen kann, daß sich in dieser Einheit das Pfingstgeheimnis ständig verwirklicht. Zugleich bleiben die Apostel und die Jünger des Herrn unter allen Völkern der Erde »beharrlich im Gebet zusammen mit Maria, der Mutter Jesu« (vgl. Apg 1, 14). Indem sie von Generation zu Generation das Zeichen des Reiches bilden, das nicht von dieser Welt ist [67], sind sie sich auch bewußt, daß sie sich inmitten dieser Welt um jenen König sammeln müssen, dem die Völker zum Erbe gegeben sind (Ps 2, 8), dem Gott Vater »den Thron seines Vaters David« gegeben hat, so daß er »über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft kein Ende haben wird«.

Mit diesem Glauben, der sie besonders vom Augenblick der Verkündigung an selig gemacht hat, ist Maria in dieser Zeit der Erwartung zugegen in der Sendung der Kirche, zugegen im Wirken der Kirche, die das Reich ihres Sohnes in die Welt einführt [68]. Diese Gegenwart Marias findet heute wie in der ganzen Geschichte der Kirche vielfältige Ausdrucksweisen. Sie hat auch einen vielseitigen Wirkungsbereich: durch den Glauben und die Frömmigkeit der einzelnen Gläubigen, durch die Traditionen der christlichen Familien oder der »Hauskirchen«, der Pfarr- und Missionsgemeinden, der Ordensgemeinschaften, der Diözesen, durch die werbende und ausstrahlende Kraft der großen Heiligtümer, in denen nicht nur einzelne oder örtliche Gruppen, sondern bisweilen ganze Nationen und Kontinente die Begegnung mit der Mutter des Herrn suchen, mit derjenigen, die selig ist, weil sie geglaubt hat, die die erste unter den Gläubigen ist und darum Mutter des Immanuel geworden ist. Das ist der Ruf der Erde Palästinas, der geistigen Heimat aller Christen, weil es die Heimat des Erlösers der Welt und seiner Mutter ist. Das ist der Ruf so vieler Kirchen, die der christliche Glaube in Rom und über die ganze Welt hin die Jahrhunderte hindurch errichtet hat. Das ist auch die Botschaft der Orte wie Guadalupe, Lourdes, Fatima und der anderen in den verschiedenen Ländern, unter denen auch, wie könnte ich nicht daran denken, jener Ort meiner Heimat ist, Jasna G-ra. Man könnte von einer eigenen »Geographie« des Glaubens und der marianischen Frömmigkeit sprechen, die alle diese Orte einer besonderen Pilgerschaft des Gottesvolkes umfaßt, das die Begegnung mit der Muttergottes sucht, um im Bereich der mütterlichen Gegenwart »derjenigen, die geglaubt hat«, den eigenen Glauben bestärkt zu finden. Im Glauben Marias hat sich ja schon bei der Verkündigung und dann endgültig unter dem Kreuz von seiten des Menschen jener innere Raum wieder geöffnet, in welchem der ewige Vater uns »mit allem geistlichen Segen« erfüllen kann: der Raum »des neuen und ewigen Bundes« [69]. Deser Raum bleibt in der Kirche bestehen, die in Christus »gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« ist [70].

Im Glauben, den Maria bei der Verkündigung als »Magd des Herrn« bekannte und mit dem sie dem Gottesvolk auf seinem Pilgerweg ständig »vorangeht«, strebt die Kirche »unablässig danach, die ganze Menschheit ... unter dem einen Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes« [71].

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