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Jesus und die Ehebrecherin, S. Pio da Pietrelcina, San Giovanni Rotondo |
+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Johannes 8,1-11)
In
jener Zeit 1ging Jesus zum Ölberg.
2Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu
ihm. Er setzte sich und lehrte es.
3Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim
Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte
4und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer
Tat ertappt.
5Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun,
was sagst du?
6Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu
haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf
die Erde.
7Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu
ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
8Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort,
zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der
Mitte stand.
10Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat
dich keiner verurteilt?
11Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile
dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!
(Evangelium vom Montag der 5. Fastenwoche)
Jesus und die Ehebrecherin
Die beim Ehebruch ertappte Frau
14. Jesus begibt sich in die konkrete,
geschichtliche Situation der Frau, eine Situation, die vom Erbe der
Sünde belastet ist. Dieses Erbe kommt unter anderem in den Gewohnheiten zum
Ausdruck, die die Frau zugunsten des Mannes diskriminieren, und ist auch in ihr
selbst verwurzelt. Unter diesem Gesichtspunkt scheint die Episode von der Frau,
»die beim Ehebruch ertappt wird« (vgl. 8, 3-11), besonders ergiebig zu sein.
Zuletzt sagt Jesus zu ihr: »Sündige von jetzt an nicht mehr«; vorher
aber weckt er das Schuldbewußtsein in den Männern, die sie anklagen, um
sie zu steinigen, und offenbart so seine tiefe Fähigkeit, das Gewissen und die
Werke der Menschen der Wahrheit gemäß zu sehen. Jesus scheint den Anklägern
sagen zu wollen: Ist diese Frau mit ihrer ganzen Sünde nicht vielleicht auch
und vor allem eine Bestätigung eurer Übertretungen, eurer »männlichen«
Ungerechtigkeit, eurer Mißbräuche?
Diese Wahrheit ist für das ganze
Menschengeschlecht gültig. Die im Johannesevangelium berichtete Begebenheit
kann man in unzähligen ähnlichen Situationen in jeder Geschichtsepoche
vorfinden. Eine Frau wird allein gelassen und mit »ihrer Sünde« der
öffentlichen Meinung ausgesetzt, während sich hinter »ihrer« Sünde ein Mann als
Sünder verbirgt, der »an der Sünde anderer« schuld, ja mitverantwortlich für
sie ist. Seine Schuld entzieht sich jedoch der Aufmerksamkeit und wird
stillschweigend übergangen: Für »fremde Schuld« erscheint er nicht
verantwortlich! Manchmal macht er sich auch noch zum Ankläger, wie in dem
geschilderten Fall, und vergißt dabei die eigene Schuld. Wie oft büßt in
ähnlicher Weise die Frau für ihre Sünde (es kann durchaus sein, daß sie
in gewissen Fällen schuld ist an der Sünde des Mannes); doch nur sie büßt und
zahlt allein. Wie oft bleibt sie mit ihrer Mutterschaft verlassen
zurück, wenn der Mann, der Vater des Kindes, die Verantwortung dafür nicht
übernehmen will? Und neben den so zahlreichen «unverheirateten Müttern» in
unserer Gesellschaft müssen wir auch an all jene Frauen denken, die sich sehr
oft unter mancherlei Druck, auch von seiten des schuldigen Mannes, von ihrem
Kind noch vor dessen Geburt »befreien«. Sie »befreien sich«: aber um welchen
Preis? Die heutige öffentliche Meinung versucht auf verschiedene Weise das Übel
dieser Sünde »wegzureden«; normalerweise jedoch vermag das Gewissen der Frau
nicht zu vergessen, daß sie dem eigenen Kind das Leben genommen hat; denn
sie ist nicht imstande, die ihrem Ethos am »Anfang« eingeschriebene
Bereitschaft zur Annahme des Lebens auszulöschen.
Das Verhalten Jesu bei der im Johannesevangelium
(8, 3-11) beschriebenen Begebenheit ist bezeichnend. Wohl nur an wenigen
Stellen wird seine Macht - die Macht der Wahrheit - gegenüber dem menschlichen
Gewissen so wie hier offenbar. Jesus ist ruhig, gefaßt, nachdenklich. Besteht
hier wie auch im Gespräch mit den Pharisäern (vgl. Mt 19, 3-9) nicht
vielleicht eine Verbindung zwischen seinem Bewußtsein und dem Geheimnis des
»Anfangs« ? Als der Mensch als Mann und Frau erschaffen wurde und die Frau mit
ihrer fraulichen Eigenart, auch mit ihrer Fähigkeit zur Mutterschaft, dem Mann
anvertraut wurde? Auch der Mann wurde vom Schöpfer der Frau anvertraut. Sie
wurden einander als Personen anvertraut, die nach dem Bild und Gleichnis
Gottes selbst erschaffen waren. In diesem Anvertrauen liegt das Maß der Liebe,
einer bräutlichen Liebe: Um zu einer »aufrichtigen Hingabe« füreinander zu
kommen, muß sich jeder der beiden für diese Hingabe verantwortlich fühlen.
Dieses Maß ist allen beiden - Mann und Frau - vom »Anfang« an bestimmt.
Nach
der Ursünde sind im Mann und in der Frau Gegenkräfte am Werk, auf Grund der
dreifachen Begierde, dem »Sündenkeim«. Sie wirken aus der Tiefe des Menschen.
Darum wird Jesus in der Bergpredigt sagen: »Wer eine Frau auch nur lüstern
ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen« (Mt 5, 28).
Diese direkt an den Mann gerichteten Worte beweisen die grundlegende Wahrheit
von seiner Verantwortung gegenüber der Frau: für ihre Würde, für ihre
Mutterschaft, für ihre Berufung. Indirekt gehen diese Worte auch die Frau an.
Christus hat sein Möglichstes getan, damit die Frauen - im Rahmen der
Gewohnheiten und sozialen Verhältnisse jener Zeit - in seiner Lehre und seinem
Handeln ihre eigene Selbständigkeit und Würde wiederfinden. Auf Grund der
gottgewollten »Einheit der zwei« hängt diese Würde direkt von der
Frau selbst als für sich verantwortliches Subjekt ab und wird gleichzeitig
dem Mann zur Aufgabe gestellt. Dementsprechend appelliert Christus an die
Verantwortung des Mannes. In der vorliegenden Meditation über Würde und
Berufung der Frau heute müssen wir uns so unbedingt auf den Ansatz beziehen,
dem wir im Evangelium begegnen. Die Würde der Frau und ihre Berufung - wie auch
jene des Mannes - haben ihre ewige Quelle im Herzen Gottes und hängen unter den
zeitlichen Bedingungen des menschlichen Daseins eng mit der »Einheit der zwei«
zusammen. Daher muß sich jeder Mann darauf besinnen, ob diejenige, die ihm als
Schwester im selben Menschsein, als Braut und Ehefrau anvertraut ist, nicht in
seinem Herzen Objekt eines Ehebruchs, ob diejenige, die in unterschiedlicher
Weise Mitträgerin seines Daseins in der Welt ist, nicht für ihn zum »Objekt«
geworden ist: Objekt des Genusses, der Ausbeutung.
(Johannes Paul II., Mulieris dignitatem, 15. August 1988, über die Würde und Berufung der Frau, 14
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links die Ehebrecherin, rechts die Sünderin, die Jesus die Füße wäscht, Mosaik von Marko Ivan Rupnik |