Als der Papst in sein Arbeitszimmer zurückkehrte, meldete man ihm eine englische Dame, die kurz darauf mit einem kleinen, vierjährigen Jungen eintrat. Während der Heilige Vater mit der Mutter sprach, trat der Kleine zutraulich herzu und legte ihm seine Hand aufs Knie.
"Aber John!" rief die Dame erschrocken.
"So lassen Sie ihn schon!" lächelte Pius. "Der Heiland hat doch auch gesagt: lasset die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht! Du hast etwas auf dem Herzen, John, ich sehe es dir an!"
"Wann darf ich kommunizieren?" platzte der Junge heraus. Für einen Augenblick schloß Pius die Augen. Seine Gedanken gingen weit, weit fort in die Tage seiner eigenen Kindheit. Hatte er nicht die gleiche Frage gestellt? Beim Kaplan Jacuzzi, beim Pfarrer daheim, endlich vor dem Bischof Sartori in Asola. Er hörte noch die Antwort, die ihm der Oberhirt damals gab:
"Vielleicht wirst du einmal Papst und kannst es ändern!"
Ja, ja, das war das Zeichen, um das er so inbrünstig gefleht hatte. Die Kinder mußte er zum Heiland führen, ehe noch der Schatten der Sünde ihre Seelen dunkel macht. Hatte er nicht soeben selbst das Wort des Herrn gesagt? "Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret es ihnen nicht!"
Die Kinder der ganzen Welt sollten ihm beten helfen, wenn sie den Heiland in ihrem Herzen trugen.
"Schläfst du, Papst?" fragte der Junge erstaunt.
"Simon, schläfst du?" so hatte der Herr den ersten Papst in jener Nacht gefragt, da er das erhabene Geheimnis eingesetzt. Pius, schläfst du? Lasse die Kindlein zu mir kommen und wehre es ihnen nicht!"
"Nein, John, ich schlafe nicht! Jetzt nicht mehr!" sprach Pius und schaute den Kleinen aus seinen meerblauen Augen an.
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Pius X., Eingang zur Basilika der Unbefleckten Empfängnis, Lourdes |
"Welch schöne Augen du hast!" sagte der kleine Engländer. "Aber hast du nicht gehört, was ich gefragt habe?" Der diensttuende Kämmerer, der der Audienz beiwohnte, machte Miene, den Knaben zurückzuziehen und zum Schweigen zu bringen.
"Wehret es ihnen nicht!" blitzte der Papst den Monsignore an. Dann wandte er sich mit aller Liebe seines Herzens dem Kind wieder zu:
"Wen empfängst du in der heiligen Kommunion?" fragte er.
"Jesus Christus!"
"Und wer ist Jesus Christus?"
"Jesus Christus ist Gottes Sohn!"
Da erhob sich der Papst und sagte der Mutter:
"Bringen Sie das Kind morgen früh um 6 Uhr hierher. Ich will ihm selbst in meiner Privatkapelle die heilige Kommunion spenden. Keinen Tag sollst du mehr warten, mein Kind!"
"Ich danke dir, Papst!" strahlte der Knabe und ging glücklich mit seiner Mutter aus dem Zimmer.
Kurze Zeit später, am 8. August 1910, erschien das Dekret des Papstes "Quam singulari Christus amore", das allen Priestern auf dem Erdenrund gebot, die Kinder zum Gottesdienst zuzulassen, sobald sie imstande wären, die heilige Kommunion von gewöhnlicher Speise zu unterscheiden.
(aus: W. Hünermann, Feuer auf die Erde, Pius X., 258f.)
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Pius X., Pfarrkirche in Lourdes |
Aus dem Dekret "Quam singulari":
I.
Das
Unterscheidungsalter sowohl für die Beichte wie auch für die heilige Kommunion
ist jenes, in welchem das Kind beginnt, vernünftig zu denken, das heißt um das
siebte Jahr herum, sei es später, sei es auch früher. Von diesem Zeitpunkt an
beginnt die Verpflichtung beiden Geboten zu entsprechen: dem der Beichte und
dem der Kommunion.
II.
Zur ersten Beichte und
zur ersten Kommunion ist keineswegs die vollständige und vollkommene Kenntnis
der christlichen Lehre vonnöten. Das Kind wird freilich danach den ganzen
Katechismus nach dem Maß seines Verständnisses schrittweise erlernen müssen.
III.
Die Kenntnis der
Religion, die beim Kind nötig ist, damit es sich zur ersten Kommunion
angemessen vorbereiten kann, ist jene, daß es selber die aufgrund der
Notwendigkeit des [Heils-]Mittels nötigen Geheimnisse des Glaubens entsprechend
seinem Fassungsvermögen aufnimmt und das eucharistische Brot von allgemeinen
und körperlichen unterscheidet, sodaß es mit jener Frömmigkeit, die sein Alter
zuläßt, zur heiligsten Eucharistie schreitet.
IV.
Die Pflicht des Gebotes
zur Beichte und Kommunion, die auf dem Kind lastet, fällt vor allem auf jene
zurück, die für das Kind Sorge zu tragen haben, nämlich auf die Eltern, den
Beichtvater, die Lehrer und den Pfarrer. Dem Vater aber oder jenen, die dessen
Stelle einnehmen, und dem Beichtvater kommt es gemäß dem Römischen Katechismus
zu, die Kinder zur ersten Kommunion zuzulassen.
V.
Der Pfarrer soll einmal
jährlich oder öfter eine allgemeine Kommunion der Kinder bekanntgeben und
abhalten, und zu diesen Anlässen soll er nicht nur die Erstkommunikanten
zulassen, sondern auch andere, die bereits zum heiligen Tisch hinzugetreten
sind, mit der oben erwähnten Zustimmung ihrer Eltern oder des Beichtvaters.
Einige Tage der Unterweisung und Vorbereitung sollen zuvor beiden Gruppen von
Kindern ermöglicht werden.
VI.
Jene, die Sorge tragen
für die Kinder, müssen mit allem Eifer danach trachten, daß diese Kinder nach
der ersten Kommunion öfter zum heiligen Tisch hinzutreten und womöglich sogar
täglich, so wie es Jesus Christus und die Kirche als Mutter wünschen, und daß
sie dies in jener Hingabe des Herzens tun, die ein solches Alter zuläßt. Sie
müssen auch die überaus schwerwiegende Pflicht bedenken, daß sie die Kinder die öffentlichen
Katechismusklassen besuchen lassen. Wenn das nicht geschieht, müssen sie die
religiöse Unterweisung auf eine andere Art sicherstellen.