Mittwoch, 4. Oktober 2017

Franziskaner in Budapest - die Wundmale

Franziskanerkirche, Pesti Ferences Templom, Budapest


Zwei Jahre, ehe er seinen Geist dem Himmel zurückgab, führte ihn Gottes Vorsehung so nach mannigfachen Mühen beiseite auf einen hohen Berg, der La Verna heißt. Nach seiner Gewohnheit begann er hier zu Ehren des heiligen Erzengels Michael eine vierzigtägige Fastenzeit. In reichlicherem Maße als sonst erfüllte ihn da die Süße himmlischer Beschauung, noch mächtiger erfasste ihn die Feuersglut himmlischer Sehnsucht, und er fühlte, wie Gott reichlicher denn je seine Gnadengaben über ihn ausgoss. Es zog ihn machtvoll zum Himmel, nicht damit er wie ein Neugieriger Gottes Majestät ergründe und von seiner Herrlichkeit erdrückt werde, vielmehr wollte er wie ein getreuer und kluger Knecht nach dem suchen, was Gott gefällt; denn er wünschte mit aller Glut seines Herzens, ihm auf jede Weise gleichförmig werden.

Durch göttliche Eingebung kam ihm der Gedanke, dass ihm Christus beim Aufschlagen des Evangelienbuches enthüllen werde, was Gott an ihm und durch ihn am wohlgefälligsten sei. Nachdem er mit großer Innigkeit gebetet hatte, nahm er das heilige Evangelienbuch vom Altar und hieß einen Gefährten, einen frommen, heiligmäßigen Mann, es im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit zu öffnen. Als er beim dreimaligen Aufschlagen stets auf den Leidensbericht des Herrn stieß, erkannte der von Gott erfüllte Mann, er müsse, bevor er aus dieser Welt hinüberginge, Christus in seiner Bedrängnis und in seinem schmerzhaften Leiden gleich gestaltet werden, ebenso wie er ihn vorher in seinem Handeln nachgeahmt hatte. Auch wenn er durch sein früheres überaus strenges Leben und sein ständiges Tragen des Kreuzes Christi bereits körperlich geschwächt war, so erschrak er doch keineswegs, sondern fühlte sich noch mächtiger angetrieben, das Martyrium auf sich zu nehmen. Denn die unüberwíndliche Glut seiner Liebe zum guten Jesus war in ihm zu einem lodernden, flammenden Feuer entbrannt, so dass noch so viele Wasserströme seine starke Liebe nicht auslöschen konnten.

Glühendes Verlangen gleich dem der Seraphim trug ihn zu Gott empor, und inniges Mitleiden gestaltete ihn dem ähnlich, der aus übergroßer Liebe den Kreuzestod auf sich nehmen wollte.
Da sah er eines Morgens um das Fest Kreuzerhöhung, während er am Bergeshang betete, einen Seraph mit sechs feurigen, leuchtenden Flügeln von des Himmels Höhe herabkommen. Als er in schnellem Fluge dem Orte nahe gekommen war, wo der Gottesmann betete, zeigte sich zwischen den Flügeln die Gestalt eines gekreuzigten Menschen, dessen Hände und Füße zur Kreuzesgestalt ausgestreckt und ans Kreuz geheftet waren. Zwei Flügel waren über dem Haupte ausgespannt, zwei zum Fluge ausgebreitet, und zwei verhüllten den ganzen Körper.
Bei diesem Anblick war Franziskus sehr bestürzt; Freude und Trauer zugleich erfüllten sein Herz. Er war voll Freude über den Blick der Gnade, mit dem er sich von Christus unter der Gestalt des Seraph angesehen sah, doch der Anblick seines Hängens am Kreuz durchbohrte seine Seele mit dem Schwert schmerzlichen Mitleidens. Er war voll Staunen über die geheimnisvolle Erscheinung; denn er wußte wohl, dass die Schwachheit des Leidens mit der Unsterblichkeit eines Seraphs unvereinbar sei.

Schließlich verstand er - denn der Herr ließ es ihn erkennen -, die göttliche Vorsehung lasse ihm deswegen die Erscheinung zuteil werden, damit er schon jetzt wisse, nicht das Martyrium des Leibes, sondern die Glut des Geistes müsse ihn als Freund Christi ganz zum Bild des gekreuzigten Christus umgestalten.

Als sich die die Erscheinung seinen Augen entzog, ließ sie in seinem Herzen ein wundersames Feuer zurück und prägte auch seinem Leib ein nicht minder wundersames Abbild der Wundmale ein. Sogleich nämlich wurden an seinen Händen und Füßen die Wundmale der Nägel sichtbar, wie er sie soeben an jener Gestalt des Gekreuzigten geschaut hatte. Hände und Füße schienen in ihrer Mitte von Nägeln durchbohrt; ihr Kopf zeigte sich an den Handflächen und am Rist der Füße, ihre Spitze aber an der gegenüberliegenden Seite. Die Nagelköpfe an Händen und Füßen waren rund und schwarz, ihre Spitzen länglich, etwas gebogen und gleichsam umgeschlagen; sie wuchsen aus dem Fleisch heraus und ragten darüber hinaus. An der rechten Seite klaffte eine rote Wunde, als wäre sie von einer Lanze durchstochen; aus ihr floss oft Blut hervor, so dass Habit und Hosen davon benetzt wurden.
(....)
Nachdem die wahre Liebe Christi also den Liebenden in das Bild des Geliebten umgestaltet hatte, vollendete er die vierzig Tage, wie er es vorgehabt hatte, in der Einsamkeit.

(Bonaventura von Bagnoregio, Legenda Maior, in: Franziskus-Quellen, 765f)

Franziskanerkirche, Budapest

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen