Liebe Brüder und Schwestern!
Aus der Grotte von Massabielle spricht die Unbefleckte Jungfrau auch zu uns Christen des dritten Jahrtausends. Laßt uns auf sie hören!
Hört auf sie vor allem ihr, liebe Jugendliche: Ihr sucht ja nach einer Antwort, die eurem Leben Sinn geben kann. Hier könnt ihr sie finden. Es ist eine anspruchsvolle Antwort, aber auch die einzige, die wirklich Wert hat. In ihr findet sich das Geheimnis der wahren Freude und des Friedens.
Von dieser Grotte aus richte ich einen besonderen Appell an euch Frauen. Durch ihre Erscheinung an diesem Ort hat Maria ihre Botschaft einem Mädchen anvertraut, gleichsam um die besondere Sendung der Frau in unserem Zeitalter zu betonen, das durch den Materialismus und die Säkularisierung versucht wird. Diese Sendung besteht darin, in der heutigen Gesellschaft Zeuginnen jener grundlegenden Werte zu sein, die sich nur mit den Augen des Herzens erkennen lassen. Ihr Frauen sollt Wächterinnen des Unsichtbaren sein! An euch alle, Brüder und Schwestern, richte ich den dringlichen Appell, daß ihr alles in eurer Macht Stehende tut, damit das Leben, das ganze Leben, von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende geachtet wird. Das Leben ist ein heiliges Geschenk, niemand darf sich zum Herrn darüber erheben.
Schließlich richtet die Muttergottes von Lourdes folgende Botschaft an alle Menschen: Seid freie Frauen und Männer! Aber denkt daran: Die menschliche Freiheit ist von der Sünde gezeichnet und muß ihrerseits befreit werden. Christus ist ihr Befreier, Er, der uns »zur Freiheit befreit« hat (vgl. Gal 5,1). Verteidigt eure Freiheit!
Liebe Freunde, wir wissen, daß wir dazu auf jene Frau zählen können, die niemals der Sünde nachgegeben hat und deshalb das einzig wirklich freie Geschöpf ist. Ihr vertraue ich euch an. Geht mit Maria auf den Wegen der vollen Verwirklichung eures Menschseins.
(aus der Predigt von Papst Johannes Paul II., 15. August 2004)
Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in Lourdes |
Vor hundertfünfzig Jahren, am 11. Februar 1858, sah ein einfaches Mädchen aus Lourdes, Bernadette Soubirous, an diesem Ort außerhalb der Stadt, der so genannten Grotte von Massabielle, ein Licht und in diesem Licht eine junge Dame, „schön, über alles schön”. Diese Dame wandte sich mit Güte und Liebenswürdigkeit, mit Achtung und Vertrauen an sie. „Sie siezte mich”, erzählt Bernadette, „… Möchten Sie mir den Gefallen tun, in den nächsten fünfzehn Tagen hierher zu kommen?” fragt die Dame sie. „… Sie schaute mich an wie ein Mensch, der mit einem anderen Menschen spricht.” In dieser Unterhaltung, in diesem ganz von Feingefühl geprägten Dialog beauftragt die Dame sie, einige ganz einfache Botschaften über das Gebet, die Buße und die Umkehr zu vermitteln. Dass Maria schön ist, überrascht nicht, offenbart sie doch in der Erscheinung vom 25. März 1858 ihren Namen so: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis”.
Betrachten wir unsererseits diese „mit der Sonne bekleidete Frau”, die uns die Schrift vor Augen stellt (vgl. Offb 12,1). Die Allerseligste Jungfrau Maria, die glorreiche Frau der Geheimen Offenbarung, trägt auf ihrem Haupt einen Kranz von zwölf Sternen, welche die zwölf Stämme Israels, das ganze Volk Gottes, die gesamte Gemeinschaft der Heiligen darstellen, und zugleich hat sie unter ihren Füßen den Mond, das Bild des Todes und der Sterblichkeit. Maria hat den Tod hinter sich gelassen; sie ist ganz vom Leben bekleidet, vom Leben ihres Sohnes, des auferstandenen Christus. So ist sie das Zeichen für den Sieg der Liebe und des Guten, für den Sieg Gottes. Sie gibt unserer Welt die Hoffnung, die sie braucht. Richten wir heute Abend unseren Blick auf Maria, die so glorreich und so menschlich ist, und lassen wir uns von ihr zu Gott, dem Sieger, führen.
Zahlreiche Menschen haben es bezeugt: Die Begegnung mit dem leuchtenden Antlitz von Bernadette verwandelte die Herzen und die Blicke. Sowohl während der Erscheinungen als auch, wenn sie davon erzählte, begann ihr Gesicht über und über zu strahlen. Bernadette war bereits erfüllt von dem Licht von Massabielle. Das alltägliche Leben der Familie Soubirous bestand jedoch aus Elend und Traurigkeit, aus Krankheit und Unverständnis, aus Ablehnung und Armut. Auch wenn es in den familiären Beziehungen nicht an Liebe und Wärme fehlte, war es doch schwierig, im cachot („Verließ”) zu leben. Aber die Schatten der Erde haben das Licht des Himmels nicht daran gehindert zu leuchten: „Das Licht leuchtet in der Finsternis…” (Joh 1,5).
Lourdes ist einer der Orte, die Gott erwählt hat, um dort einen besonderen Strahl seiner Schönheit leuchten zu lassen; daher rührt die Bedeutung, die hier das Symbol des Lichtes bekommt. Von der vierten Erscheinung an entzündete Bernadette, wenn sie an der Grotte ankam, jeden Morgen eine gesegnete Kerze und hielt sie in der linken Hand, bis die Jungfrau sich zeigte. Sehr bald übergaben verschiedene Personen Bernadette eine Kerze, damit sie diese in der Tiefe der Grotte in die Erde stecke. Sehr bald brachten andere Menschen auch selbst Kerzen an diesen Ort des Lichtes und des Friedens. Die Muttergottes tat selber kund, dass ihr diese berührende Huldigung dieser Tausenden Kerzen gefiel, die seitdem zu ihrer Ehre ununterbrochen den Felsen der Erscheinung erleuchten. Von jenem Tag an glüht vor der Grotte Tag und Nacht, im Sommer wie im Winter, ein brennender Dornbusch, entzündet vom Gebet der Pilger und der Kranken, die ihre Sorgen und Nöte, vor allem aber ihren Glauben und ihre Hoffnung zum Ausdruck bringen.
Da wir als Pilger hier nach Lourdes kommen, wollen wir auf den Spuren Bernadettes in diese außergewöhnliche Nähe zwischen Himmel und Erde eintreten, die sich niemals widersprochen hat und die sich unaufhörlich weiter festigt. Während der Erscheinungen ist zu bemerken, dass Bernadette den Rosenkranz unter den Augen Marias betet, die im Moment der Doxologie mit einstimmt. Diese Tatsache bestätigt den zutiefst theozentrischen Charakter des Rosenkranzgebets. Wenn wir den Rosenkranz beten, leiht uns Maria ihr Herz und ihre Augen, um das Leben ihres Sohnes, Christus Jesus, zu betrachten. Mein verehrter Vorgänger Papst Johannes Paul II. ist zweimal hierher nach Lourdes gekommen. Wir wissen, wie sehr sich in seinem Leben und in seinem Dienst das Gebet auf die Fürsprache der Jungfrau Maria stützte. Wie viele seiner Vorgänger auf dem Stuhl Petri hat auch er das Rosenkranzgebet nachdrücklich gefördert; er hat dies unter anderem in einer ganz besonderen Weise getan, indem er es durch die Betrachtung der lichtreichen Geheimnisse bereichert hat. Sie sind übrigens auf der Fassade der Basilika in den neuen, im vergangenen Jahr eingeweihten Mosaiken dargestellt. Wie bei allen Geschehnissen im Leben Christi, die sie in ihrem Herzen bewahrte und überdachte (vgl. Lk 2,19), lässt Maria uns alle Etappen seines öffentlichen Wirkens als einen Teil der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes begreifen. Möge der lichterfüllte Ort Lourdes eine Schule zum Erlernen des Rosenkranzgebets bleiben, das die Jünger Jesu in Gegenwart seiner Mutter in einen echten und herzlichen Dialog mit ihrem Meister einführt!
Durch den Mund Bernadettes hören wir die Bitte der Jungfrau Maria an uns, in Prozession hierher zu kommen, um in Einfachheit und mit Eifer zu beten. Die Lichterprozession vermittelt unseren sinnlichen Augen das Geheimnis des Gebetes: In der Gemeinschaft der Kirche, welche die Erwählten des Himmels und die Pilger der Erde miteinander vereint, entspringt das Licht aus dem Gespräch zwischen dem Menschen und seinem Herrn, und eine leuchtende Straße öffnet sich in der Geschichte der Menschen, auch in den dunkelsten Augenblicken. Diese Prozession ist ein Moment großer kirchlicher Freude, aber auch eine Zeit tiefen Ernstes: Die Anliegen, die wir mit uns tragen, unterstreichen unsere tiefe Verbundenheit mit allen, die leiden. Denken wir an die unschuldigen Opfer, die unter Gewalt, Krieg, Terrorismus und Hungersnot leiden oder die die Folgen von Ungerechtigkeiten, Plagen und Unheil, von Hass und Unterdrückung, von Angriffen auf ihre Menschenwürde und ihre Grundrechte, auf ihre Handlungs- und Gedankenfreiheit zu tragen haben. Denken wir auch an jene, die familiäre Probleme erleben oder die infolge von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Gebrechen, Einsamkeit oder ihrer Situation als Einwanderer leiden. Außerdem möchte ich diejenigen nicht vergessen, die um des Namens Christi willen leiden und für ihn sterben.
Maria lehrt uns, zu beten und unser Gebet zu einem Akt der Gottes- und der Nächstenliebe zu machen. Wenn wir mit Maria beten, nimmt unser Herz die Leidenden auf. Wie könnte unser Leben dabei unverändert bleiben? Warum sollte unser Sein und unser ganzes Leben nicht Ort der Gastfreundschaft für unseren Nächsten werden? Lourdes ist ein Ort des Lichtes, weil es ein Ort der Gemeinschaft, der Hoffnung und der Umkehr ist.
Nun, beim Einbruch der Nacht, sagt Jesus zu uns: „Lasst eure Lampen brennen!” (Lk 12,35): die Lampe des Glaubens, die Lampe des Gebetes, die Lampe der Hoffnung und der Liebe! Dieses Gehen in der Nacht mit dem Licht in der Hand spricht unser Inneres nachdrücklich an, es berührt unser Herz und besagt viel mehr als jedes andere gesprochene oder gedachte Wort. Diese Geste erfasst allein unsere Lage als Christen unterwegs: Wir brauchen Licht und sind zugleich berufen, Licht zu werden. Die Sünde macht uns blind; sie hindert uns daran, unsere Mitmenschen führen zu können, und bewirkt, dass wir ihnen misstrauen und uns selber nicht führen lassen. Wir haben es nötig, erleuchtet zu werden, und wiederholen die flehentliche Bitte des blinden Bartimäus: „Rabbuni, ich möchte wieder sehen können!” (Mk 10,51). Mach, dass ich meine Sünde sehe, die mich hemmt, doch vor allem: Herr, gib, dass ich deine Herrlichkeit sehe! Wir wissen, dass unser Gebet schon erhört ist, und wir sagen Dank, denn, wie der heilige Paulus im Epheserbrief sagt: „Christus wird dein Licht sein” (5,14), und der heilige Petrus fügt hinzu: „Er hat euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen” (1 Petr 2,9).
Zu uns, die wir nicht das Licht sind, kann Christus nun sagen: „Ihr seid das Licht der Welt” (Mt 5,14), indem er uns aufträgt dafür zu sorgen, das Licht der Liebe leuchten zu lassen. Wie der Apostel Johannes schreibt: „Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht; da gibt es für ihn kein Straucheln” (1 Joh 2,10). Die christliche Liebe leben bedeutet, das Licht Gottes in die Welt zu tragen und zugleich auf seine wahre Quelle hinzuweisen. Der heilige Leo der Große schreibt: „Wer nämlich fromm und keusch in der Kirche lebt, wer seinen Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische lenkt (vgl. Kol 3,2), ist in gewisser Weise dem himmlischen Licht gleich; während er selbst auf den Glanz eines heiligen Lebens achtet, weist er wie ein Stern vielen den Weg, der zu Gott führt” (Sermon III,5).
In diesem Wallfahrtsort Lourdes, auf den die Christen der ganzen Welt ihren Blick richten, seit die Jungfrau Maria hier die Hoffnung und die Liebe hat erstrahlen lassen, indem sie den Kranken, den Armen und den Kleinen den ersten Platz zuwies, sind wir eingeladen, die Einfachheit unserer Berufung zu entdecken: Denn es genügt zu lieben.
Morgen wird uns die Feier der Kreuzerhöhung direkt ins Herz dieses Geheimnisses einführen. In dieser Vigil richtet sich unser Blick schon auf das Zeichen des Neuen Bundes, auf das das ganze Leben Jesu zuläuft. Das Kreuz ist der höchste und vollkommenste Akt der Liebe Jesu, der sein Leben für seine Freunde hingibt. „So muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat” (Joh 3,14-15).
Wie es in den Liedern vom Gottesknecht angekündigt wurde, ist der Tod Jesu ein Tod, der zum Licht für die Völker wird; es ist ein Tod, der in Verbindung mit der Sühneliturgie die Versöhnung bringt, ein Tod, der das Ende des Todes bedeutet. Von da an ist das Kreuz ein Zeichen der Hoffnung, ein Banner des Sieges Jesu, denn „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat” (Joh 3,16). Durch das Kreuz empfängt unser ganzes Leben Licht, Kraft und Hoffnung. Mit ihm ist die ganze Tiefe der Liebe offenbart, die im ursprünglichen Plan des Schöpfers enthalten war; mit ihm ist alles geheilt und zur Vollendung geführt. Das ist der Grund, warum das Leben im Glauben an den gestorbenen und auferstandenen Christus Licht wird.
Die Erscheinungen waren von Licht umflutet, und Gott hat im Blick von Bernadette eine Flamme entzündet, die zahllose Herzen bekehrt hat. Wie viele Menschen kommen hierher, um ein Wunder zu sehen, und hoffen vielleicht insgeheim, eines an sich selbst zu erfahren; auf dem Heimweg, nachdem sie eine geistliche Erfahrung eines echten kirchlichen Lebens gemacht haben, ändert sich dann ihr Blick auf Gott, auf die anderen und auf sich selbst. Eine kleine Flamme, die sich Hoffnung, Mitleid und Zartgefühl nennt, wohnt in ihnen. Die verborgene Begegnung mit Bernadette und mit der Jungfrau Maria kann ein Leben verändern, denn sie sind an diesem Ort Massabielle gegenwärtig, um uns zu Christus zu führen, der unser Leben, unsere Kraft und unser Licht ist. Mögen die Jungfrau Maria und die heilige Bernadette Euch helfen, als Kinder des Lichtes zu leben, um alle Tage Eures Lebens zu bezeugen, dass Christus unser Licht, unsere Hoffnung und unser Leben ist! Amen.
(Papst Benedikt, 14.9.2008, Ansprache in Lourdes)
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