Bringe deine Finger hierher und sie meine Hände, und bringe deine Hand her und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. (Johannes 20,27)
Nun wendet sich der Herr an Thomas und fordert ihn auf, seine Wunden nicht nur zu beschauen, sondern nach seinem eigenen Wunsch zu berühren. So fügt sich der Herr dem, was Thomas begehrte. Er stellt ihm genau die Möglichkeiten der Prüfung zur Verfügung, von denen Thomas seinen Glauben abhängig machte: die Prüfung durch die Augen, durch den Finger und durch die Hand.
Thomas hat den Herrn sogleich bei seinem Erscheinen erkannt; er hat keinen Augenblick an seiner Identität gezweifelt.
Jetzt aber soll er das, was er sich gewünscht hat, tun. Und doch bietet der Herr ihm, indem er seinen Wunsch erfüllt, unendlich mehr, als was Thomas erwartet hatte oder was in seiner Forderung überhaupt enthalten war. Der Herr paßt sich zwar der Forderung des Jüngers an und begrenzt damit scheinbar sein Angebot. Aber gerade in seiner Anpassung liegt das viel Größere dessen, was er anbietet.
Was er im tiefsten anbietet, ist, daß er sich Thomas unterordnet, sich ihm vollkommen zur Verfügung stellt. Er gibt ihm seine Hände und seine Seite dahin und damit seine ganze Person. Und indem Gott der Sohn sich dem Menschen Thomas zur Verfügung stellt, beweist er, daß in seiner Sohnschaft das vollkommene Menschsein inbegriffen ist: ein Menschsein, das an keinerlei Rangordnung gebunden ist, sondern frei ist, auch als Objekt zu dienen, der Schau und der Betastung sich auszusetzen.
Der Sohn erniedrigt sich in seiner Menschheit soweit, daß er zu seinem von Thomas selbst festgesetzten Beweis für dessen Glaube wird. Er sinkt herab zu einem Anschauungsmaterial, das der Mensch verlangt, um zum göttlichen Glauben zu kommen. Er macht sich zum Beweis des Beweises, zum Beweisenden innerhalb des Beweises. Und er verkleinert sich rein menschlich so, als wäre er nichts weiter mehr als diese Wundmale, das, was dem Auge, dem Finger, der Hand des Thomas entspricht. Er zeigt damit dem Apostel die Kleinheit dessen, was er verlangt hat. Thomas hat den Herrn auf etwas reduziert, was man mit zwei kleinen Bewegungen seines Fingers und seiner Hand umfassen kann. Er hat die ganze Möglichkeit des Glaubens eingeschränkt auf das, was seiner Fingerspitze, seinem Handgefühl entspricht.
Er läßt, um seinen Glauben zu erhärten, vom Herrn nur bestehen, was ihm vor dem Kreuz gar nicht gehörte: die Narben der Passion. Diese Zeichen eines äußern Geschehnisses sind alles, worin für Thomas der Herr Platz hat.
Und indem dieser bereit ist, für Thomas nur noch die Wundmale zu sein, offenbart er in überwältigender Weise dem Jünger, wie tief sein Glaube gesunken wäre, wenn wirklich nur diese Zeichen seinen Glauben enthielten. Durch die Erniedrigung des Herrn, durch seine Demut, solche Erniedrigung anzunehmen, trifft er den Jünger dort, wo er am tiefsten getroffen werden kann: in seinem lebendigen Glauben der Zeit vor dem Kreuz. Jählings wird für Thomas sichtbar, wie groß der Abstand geworden ist. Das wird ihm zunächst am Herrn ersichtlich.
Denn die Verkleinerung des Herrn in seiner Demut offenbart, wie groß die Lauheit des Glaubens in Thomas geworden ist.
(Adrienne von Speyr, Johannes, Geburt der Kirche, 295f)
Thomas will die Wunden des Herrn berühren
Hochaltarbild Unterpremstätten/Stmk (B16, 12.4.2010)
St. Pierre, Chartres, Glasfenster (Hans U. von Balthasar)
Statue des hl. Thomas in der Lateranbasilika
Malerei von Pietro Paolo Bonzi im Pantheon
Fresko in der Taufkirche von Johannes Paul II. in Wadowice
Notre Dame de Paris (Generalaudienz von Benedikt XVI. über den Apostel Thomas)
Domingo de Silos (Wandrelief)
Jesus College - Cambridge (Glasfenster)
Kunsthistorisches Museum-Wien (Gemälde)
Erscheinungen des Auferstandenen: Maria Magdalena, Emmausjünger, Thomas Hochaltar in der alten Kathedrale v. Salamanca |
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