Meine Seele preist die
Größe des Herrn,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan
und sein Name ist heilig.
Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen,
das er unsern Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan
und sein Name ist heilig.
Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen,
das er unsern Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.
(aus dem Tagesevangelium)
Heimsuchung, rumänisch-orthodoxe Kirche, Knittelfeld |
Liebe Brüder und Schwestern
1. Wir sind jetzt am Ende des langen Weges angekommen,
den vor nunmehr fünf Jahren, im Frühjahr 2001, mein geliebter Vorgänger,
der unvergeßliche Papst Johannes Paul II., begonnen hatte. Der große
Papst hatte in seinen Katechesen die gesamte Abfolge der Psalmen und
Hymnen durchlaufen wollen, die den fundamentalen Gebetsschatz der Liturgie der Laudes und der Vesper
bilden. Nachdem wir nun an das Ende unserer Pilgerreise durch diese
Texte gelangt sind, die einer Reise in den blühenden Garten des
Lobpreises, der Anrufung, des Gebets und der beschaulichen Betrachtung
gleicht, geben wir heute jenem Gesang Raum, der jede Feier der Vesper ideell besiegelt, dem Magnifikat (Lk 1, 46–55).
Es ist ein Gesang, der mit aller Zartheit die Spiritualität der biblischen anawim
enthüllt, das heißt jener Gläubigen, die sich als »Arme« verstehen, und
zwar nicht nur in der Abkehr von jeder Vergötzung des Reichtums und der
Macht, sondern auch in der tiefen Demut des Herzens, das, frei von der
Versuchung des Stolzes, offen ist für das Hereinbrechen der
heilbringenden göttlichen Gnade. Das ganze Magnifikat, das wir
soeben von der Sixtinischen Kapelle gehört haben, ist in der Tat von
dieser »Demut«, im Griechischen tapeinosis, gekennzeichnet, die auf eine
Situation konkreter Niedrigkeit und Armut hinweist.
2. Der erste Satz des marianischen Lobgesanges (vgl. Lk
1,46–50) ist eine Art Solostimme, die sich zum Himmel erhebt, um den
Herrn zu erreichen. Wir hören die Stimme der allerseligsten Jungfrau,
die so von ihrem Retter spricht, der in ihrer Seele und in ihrem Leib
Großes getan hat. Man beachte nämlich, daß beständig in der ersten
Person gesprochen wird: »Meine Seele …, mein Geist …, mein Retter …, sie
preisen mich selig …, er hat Großes an mir getan«. Die Seele des Gebets
ist also die Feier der göttlichen Gnade, die in das Herz und die
Existenz Mariens hereingebrochen ist und sie zur Mutter des Herrn werden
ließ.
Inhalt und Gestalt ihres gesungenen Gebets ist der
Lobpreis, der Dank, die anerkennende Freude. Aber dieses persönliche
Zeugnis ist nicht das auf einen einzelnen beschränkte, intime, rein
individualistische Zeugnis, denn die Jungfrau Maria ist sich bewußt, daß
sie einen Auftrag für die Menschheit zu erfüllen hat und ihr Schicksal
sich in die Heilsgeschichte einfügt. Und so kann sie sagen: »Er erbarmt
sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten« (V. 50).
Mit diesem Lob des Herrn verleiht die selige Jungfrau allen erlösten
Geschöpfen, die in ihrem »Fiat« und somit in der Gestalt des von der
Jungfrau geborenen Jesus das Erbarmen Gottes finden, eine Stimme.
3. An dieser Stelle beginnt der zweite poetisch- spirituelle Satz des Magnifikat
(V. 51–55). Er hat die Merkmale eines Chorgesangs, so als vereinigte
sich mit der Stimme Mariens jene der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen,
die die überraschenden Ratschlüsse Gottes preisen. Im griechischen
Urtext des Lukasevangeliums haben wir sieben Verben im Aorist, die auf
ebenso viele Taten hinweisen, die der Herr fortwährend in der Geschichte
vollbringt: »Er vollbringt machtvolle Taten …, er zerstreut die im
Herzen voll Hochmut sind…, er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht
die Niedrigen …, die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und läßt
die Reichen leer ausgehen…, er nimmt sich seines Knechtes Israel an«.
In diesen sieben göttlichen Werken wird der »Stil«
offenkundig, an dem der Herr der Geschichte sein Verhalten inspiriert:
Er stellt sich auf die Seite der Letzten, der Geringsten. Sein Plan ist
oft hinter dem undurchsichtigen Bereich der menschlichen Angelegenheiten
verborgen, in denen »die Hochmütigen, Mächtigen und Reichen« zu
triumphieren scheinen. Doch die geheimnisvolle Kraft des göttlichen
Heilsplanes ist dazu bestimmt, schließlich enthüllt zu werden, um zu
zeigen, wer die wahren Erwählten Gottes sind: »Jene, die ihn fürchten«,
die seinem Wort treu sind; »die Demütigen, die Hungernden, sein Knecht
Israel«, das heißt, die Gemeinschaft des Gottesvolkes, das wie Maria aus
denen besteht, die »arm«, rein und einfachen Herzens sind. Das ist jene
»kleine Herde«, die eingeladen ist, sich nicht zu fürchten, weil der
Vater beschlossen hat, ihr sein Reich zu geben (vgl. Lk 12, 32).
Und so lädt uns dieser Hymnus ein, uns der kleinen Herde anzuschließen
und in der Reinheit und Einfachheit des Herzens, in der Liebe Gottes
wirklich Glieder des Volkes Gottes zu sein.
4. Hören wir nun die Einladung, die der hl. Ambrosius in seinem Kommentar zum Text des Magnifikat
an uns richtet; der große Kirchenlehrer sagt: »In jeder Seele sei
Marias Seele, daß sie groß mache den Herrn, in jeder sei der Geist
Marias, daß er frohlocke in Gott! Gibt es auch nur eine leibliche Mutter
Christi, so ist doch in der Ordnung des Glaubens Christus die Frucht
aller. Denn jede Seele empfängt Gottes Wort … Groß macht aber die Seele
Marias den Herrn und froh jubelt ihr Geist in Gott, weil sie mit Seele
und Geist, dem Vater und dem Sohne hingegeben, frommen Sinnes den einen
Gott, aus dem alles ist, und den einen Herrn, durch den alles ist,
verehrt « (Hl. Ambrosius von Mailand, Kommentar zum Lukasevangelium, 2, 26–27, in: Ausgewählte Schriften aus dem Lateinischen übersetzt, 2. Band, Kempten/München 1915, S. 65–66)
In diesem wunderbaren Kommentar des hl. Ambrosius zum Magnifikat
berührt mich immer wieder ganz besonders das erstaunliche Wort: »Gibt
es auch nur eine leibliche Mutter Christi, so ist doch in der Ordnung
des Glaubens Christus die Frucht aller. Denn jede Seele empfängt Gottes
Wort«. So lädt uns der heilige Gelehrte mit der Auslegung der Worte der
Muttergottes ein, dafür zu sorgen, daß der Herr in unserer Seele und in
unserem Leben eine bleibende Wohnstatt findet. Wir sollen ihn nicht nur
im Herzen tragen, sondern müssen ihn in die Welt tragen, so daß Christus
auch durch uns zur Frucht für unsere Zeit wird. Bitten wir den Herrn,
daß er uns helfe, ihn mit dem Geist und der Seele Mariens zu preisen und
Christus wieder in unsere Welt zu tragen.
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