frage nicht! |
Frans Snijders, 1579-1657, etal de possionier, Musee d´arts, Brüssel |
In
meiner diesjährigen Fastenbotschaft möchte ich besonders beim Wert und Sinn des
Fastens verweilen. Die österliche Bußzeit ruft ja die vierzig Tage in
Erinnerung, in denen der Herr vor dem Antritt seines öffentlichen Wirkens in
der Wüste fastete. Im Evangelium lesen wir: „Jesus [wurde] vom Geist in die
Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Nachdem er vierzig Tage und
vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger“ (Mt 4,1-2). Wie Mose vor
dem Empfang der Gesetzestafeln (vgl. Ex 34,28), wie Elias vor der
Begegnung mit dem Herrn auf dem Berg Horeb (vgl. 1 Kön 19,8), so
bereitete sich auch Jesus durch Beten und Fasten auf seine Sendung vor, an
deren Anfang eine harte Auseinandersetzung mit dem Versucher steht.
Wir
können uns fragen, welchen Wert und Sinn es für uns Christen hat, sich etwas zu
versagen, das an sich gut und zu unserem Unterhalt nützlich ist. Die Heilige
Schrift und die ganze christliche Tradition lehren, dass das Fasten eine große
Hilfe ist, die Sünde zu meiden sowie das, was zu ihr verleitet. Darum kehrt in
der Heilsgeschichte die Aufforderung zum Fasten des öfteren wieder. Schon in
den ersten Kapiteln der Bibel untersagt der Herr dem Menschen den Genuss der
verbotenen Frucht: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen. Von dem Baum
der Erkenntnis des Guten und Bösen aber darfst du nicht essen. Denn am Tag, da
du davon isst, musst du sicher sterben“ (Gen 2,16-17). In einem
Kommentar über das göttliche Gebot schreibt der heilige Basilius: „Das erste
Fastengebot wurde im Paradies erlassen“, und „im genannten Sinn empfing Adam
das erste Gebot.“ Daraus folgert er: „Nicht zu essen, heisst also zu fasten und
das Gesetz der Enthaltsamkeit zu beachten“ (vgl. Sermo de ieiunio: PG
31, 163, 98). Da wir alle an der Sünde und ihren Folgen tragen, wird uns das
Fasten als ein Mittel empfohlen, neu Freundschaft mit dem Herrn zu schliessen.
So tat es Esra vor seiner Rückkehr aus dem Exil in das verheißene Land, als er
das versammelte Volk zum Fasten aufrief, „damit wir“, wie er sagte, „uns vor
unserem Gott verdemütigen“ (8,21). Der Allmächtige erhörte ihr Gebet und
sicherte ihnen seine Huld und seinen Schutz zu. Gleiches vollzogen die
Einwohner von Ninive, die auf Jonas Appell zur Umkehr hörten und als Zeugnis
ihrer Aufrichtigkeit ein Fasten ausriefen. Dabei hofften sie: „Vielleicht reut
es Gott noch einmal, und er lässt ab von seinem glühenden Zorn, so dass wir
nicht zugrunde gehen“ (3,9). Auch damals schaute Gott auf ihr Tun und
verschonte sie.
Im
Neuen Testament erhellt Jesus den tiefen Sinn des Fastens: Er geißelt die
Pharisäer, die die vom Gesetz angeordneten Vorschriften in allen Einzelheiten
beachteten, deren Herz jedoch weit von Gott entfernt war. Wie der göttliche
Meister an anderer Stelle lehrt, besteht das wahre Fasten vielmehr darin, den
Willen des himmlischen Vaters zu tun, „der ins Verborgene sieht“ und
„vergelten“ wird (Mt 6,18). Jesus selbst bezeugt dies am Ende der
vierzig Tage in der Wüste gegenüber dem Satan: „Nicht vom Brot allein lebt der
Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“ (Mt 4,4).
Das wahre Fasten richtet sich also auf das Essen der „wahren Nahrung“, nämlich:
den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34). Während also einst Adam
Gottes Gebot übertrat, „von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“
nicht essen zu dürfen, unterwirft sich nun der Gläubige durch das Fasten Gott
in Demut, weil er auf dessen Güte und Barmherzigkeit vertraut.
In
der christlichen Urgemeinde gehörte das Fasten zur festen Gewohnheit (vgl. Apg
13,3; 14,22; 27,21; 2 Kor 6,5). Auch die Kirchenväter sprechen von der
Wirkkraft des Fastens: Es hält die Sünde in Zaum, dämpft die Begierden des
„alten Adams“, eröffnet Gott den Weg im Herzen des Gläubigen. Das Fasten ist
zudem eine geläufige Übung, die die Heiligen jeder Zeit empfohlen haben. Der
heilige Petrus Chrysologus schreibt: „Die Seele des Gebetes ist das Fasten, das
Leben des Fastens ist die Barmherzigkeit (…) Wer also betet, der faste auch;
wer fastet, übe auch Barmherzigkeit; wer selbst gehört werden will, der höre
auf den Bittenden; wer sein Ohr dem Bittenden nicht verschließt, der findet
Gehör bei Gott“ (Sermo 43: PL 52, 320. 332).
In
unseren Tagen scheint das Fasten an geistlicher Bedeutung verloren zu haben;
eine Kultur, die von der Suche nach materiellem Wohlstand gekennzeichnet ist,
gibt ihm eher den Wert einer therapeutischen Maßnahme zum Besten des Körpers.
Fasten dient sicherlich der körperlichen Gesundheit; für die Gläubigen aber ist
es in erster Linie eine „Therapie“ zur Heilung all dessen, was sie hindert,
Gottes Willen anzunehmen. In der Apostolischen Konstitution Pænitemini
von 1966 ordnete der Diener Gottes Paul VI. das Fasten der Berufung eines jeden
Christen zu, die darin besteht, „nicht mehr für sich selbst [zu] leben, sondern
für den, der ihn liebte und sich selbst für ihn hingab, sowie (…) für die
Brüder und Schwestern“ (vgl. Kap. I). Die Fastenzeit könnte daher eine passende
Gelegenheit sein, die Normen der eben erwähnten Konstitution wieder
aufzugreifen und so die echte und dauernde Bedeutung dieser alten Bußpraxis aufzuwerten.
Sie kann uns dazu verhelfen, unseren Egoismus zu bändigen und das Herz zu
weiten für die Liebe zu Gott und zum Nächsten, für das erste und höchste Gebot
des Neuen Gesetzes und die Summe des ganzen Evangeliums (Mt 22,34-40).
Unbeirrte
Fastenpraxis trägt außerdem dazu bei, Leib und Seele der Person stärker zu
vereinen, die Sünde zu meiden und in der Vertrautheit mit Gott zu wachsen. Der
Heilige Augustinus, der seine bösen Neigungen gut kannte und sich danach
sehnte, „diese mehrfach verschlungene und verwickelte Verknotung“ möchte gelöst
werden (Bekenntnisse, II, 10.18), schrieb in seiner Abhandlung über den Nutzen
des Fastens: „Gewiss, ich töte mich ab, damit er mich schone; ich lege mir
Züchtigungen auf, damit er mir zu Hilfe komme, damit ich Wohlgefallen finde in
seinen Augen, damit ich ihm, dem Allmächtigen, Freude mache“ (Sermo 400,
3, 3: PL 40, 708). Auf körperliche Speise zu verzichten, die den Leib
nährt, fördert die innere Bereitschaft, auf Christus zu hören und sich mit
seinem Heilswort zu sättigen. Unser Fasten und Gebet erlauben es ihm, den
tiefliegenderen Hunger zu stillen, den wir in unserem Innersten empfinden: den
Hunger und Durst nach Gott.
Zugleich
lässt uns das Fasten ein wenig von der Situation erfahren, in der viele unserer
Brüder leben. In seinem Ersten Brief mahnt der heilige Johannes: „Wenn
jemand irdisches Vermögen besitzt, seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz
vor ihm verschließt, wie kann in ihm die Gottesliebe bleiben?“ (3,17).
Freiwillig zu fasten verhilft uns dazu, den guten Samariter nachzuahmen, der
sich hinneigt und sich des notleidenden Bruders annimmt (vgl. Enz. Deus caritas est, 15). Freiwilliger Verzicht zum Heil
anderer bekundet, dass uns der bedürftige Nächste nicht fremd ist. Um
Sensibilität und Fürsorge für die Brüder und Schwestern wach zu halten,
ermutige ich die Pfarrgemeinden und jede Gemeinschaft, in der österlichen
Bußzeit persönliches und gemeinschaftliches Fasten häufiger zu üben und sich
zugleich dem Hören auf Gottes Wort, dem Gebet und der Wohltätigkeit zu widmen.
Das war von Anfang an die Lebensart der christlichen Gemeinde, in der besondere
Kollekten gehalten (vgl. 2 Kor 8-9; Röm 15,25-27), und die
Gläubigen aufgefordert wurden, den Armen das zu geben, was sie dank des Fastens
zur Seite gelegt hatten (vgl. Didascalia Ap., V, 20,18). Auch heute muss
diese Praxis wiederentdeckt und gefördert werden, vor allem in der Fastenzeit.
Das
bislang Gesagte überzeugt davon: Zu fasten ist eine wichtige Form der Askese,
eine geistliche Waffe zur Bekämpfung jeder möglichen ungeordneten
Anhänglichkeit an uns selbst. Freiwillig auf den Genuss von Nahrung und andere
materielle Güter zu verzichten, hilft dem Jünger Christi, das Verlangen der
durch die Ursünde geschwächten Natur im Zaum zu halten, deren negative
Wirkungen den Menschen als ganzen treffen. Ein alter liturgischer Hymnus der
Fastenzeit mahnt: „Utamur ergo parcius, / verbis, cibis et potibus, / somno,
iocis et arctius / perstemus in custodia – Lasst uns maßvoll Wort, Nahrung,
Trank, Schlaf und Spiel gebrauchen und mit größerer Aufmerksamkeit wach
bleiben“.
Liebe
Brüder und Schwestern, genau gesehen will – wie der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. schrieb – das Fasten letztlich jedem
dazu verhelfen, aus sich selbst eine Gabe an Gott zu machen (vgl. Veritatis splendor, 21). Die österliche Bußzeit werde
daher in jeder Familie und in jeder christlichen Gemeinde genutzt, all das
fernzuhalten, was den Geist ablenkt und all das zu fördern, was die Seele nährt
und sie für die Gottes- und Nächstenliebe öffnet. Ich denke hier insbesondere
an vermehrten Eifer im Gebet, in der lectio divina, im Empfang des
Sakraments der Versöhnung und in der Mitfeier der Eucharistie, vor allem der
Sonntagsmesse. Das ist die rechte seelische Bereitschaft, die österliche
Bußzeit zu beginnen. Die selige Jungfrau Maria möge uns als Causa nostræ
letitiæ – als Ursache unserer Freude – begleiten und uns in unserem Ringen
mit der Sünde beistehen, damit unser Herz immer mehr zu einem „lebendigen
Tabernakel Gottes“ werde. Mit diesem Wunsch sichere ich mein Gebet zu, auf dass
alle Gläubigen und jede kirchliche Gemeinschaft den Weg der Fastenzeit mit
Gewinn gehen und erteile allen aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen.
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