Samstag, 21. April 2018

Anselm von Canterbury


Heute gedenkt die Kirche des hl. Anselm von Canterbury:


„Gott, ich bitte dich, ich will dich erkennen,
lass mich dich lieben, um mich an dir zu erfreuen.
Und wenn ich es in diesem Leben nicht bis zur Vollendung kann,
so lass mich wenigstens Tag für Tag voranschreiten, bis es zur Vollendung kommt"
(Proslogion, Kap. 26)

Warum wurde Gott Mensch (Anselm)


Liebe Brüder und Schwestern!

Auf dem Aventin in Rom befindet sich die Benediktinerabtei „Sant'Anselmo". Als Sitz eines Instituts für höhere Studien und des Abt-Primas der benediktinischen Konföderation ist sie ein Ort, der in sich Gebet, Studium und Regierung vereint, gerade die drei Tätigkeiten, die das Leben des Heiligen charakterisierten, dem sie geweiht ist: des heiligen Anselm von Canterbury, dessen 900. Todestag wir in diesem Jahr begehen. Die vielfältigen Initiativen, die besonders von der Diözese Aosta zu diesem frohen Anlass ins Leben gerufen worden sind, haben das Interesse zutage treten lassen, das dieser mittelalterliche Denker weiterhin erregt. Er ist auch als Anselm von Bec und Anselm von Aosta bekannt, dies aufgrund der Städte, mit denen er in Beziehung stand. Wer ist diese Persönlichkeit, mit der sich drei voneinander ferne Orte in verschiedenen Nationen - Italien, Frankreich und England - besonders verbunden fühlen? Ein Mönch von ausgeprägtem geistlichen Leben, ein vortrefflicher Erzieher der Jugend, ein Theologe mit einer außerordentlichen spekulativen Begabung, ein weiser Mann der Regierung sowie ein kompromissloser Verteidiger der „libertas Ecclesiae", der Freiheit der Kirche. Anselm ist eine der herausragenden Persönlichkeiten des Mittelalters, die es verstand, all diese Eigenschaften dank einer tiefen mystischen Erfahrung, die stets sein Denken und Handeln leitete, in Einklang zu bringen.

Der heilige Anselm wurde 1033 (oder Anfang 1034) in Aosta geboren und war der Erstgeborene einer adeligen Familie. Sein Vater war ein grobschlächtiger Mann, den Vergnügungen des Lebens hingegeben und ein Verschwender seiner Güter; die Mutter hingegen war eine Frau gehobener Sitten und tiefer Religiosität (vgl. Eadmer, Vita s. Anselmi, PL 159, col 49). Sie war es, die Mutter, die sich der ersten menschlichen und religiösen Bildung des Sohnes annahm, den sie später den Benediktinern eines Priorates von Aosta anvertraute. Anselm, der sich, wie sein Biograph berichtet, als Kind die Wohnung des guten Gottes in den hohen und verschneiten Gipfeln der Alpen vorstellte, träumte eines Nachts, in diesen herrlichen Palast von Gott selbst eingeladen zu werden, der lange und freundlich mit ihm sprach und ihm zum Schluss „ein strahlendweißes Brot" zu essen anbot (ebd., col. 51). Dieser Traum hinterließ in ihm die Überzeugung, zur Erfüllung einer hohen Sendung berufen zu sein. Im Alter von 15 Jahren bat er um die Aufnahme in den Benediktinerorden, der Vater jedoch widersetzte sich dem mit all seiner Autorität und gab selbst dann nicht nach, als der schwer erkrankte Sohn sich dem Tode nahe fühlte und um das Ordensgewand als höchsten Trost flehte. Nach der Genesung und dem vorzeitigen Tode der Mutter durchlebte Anselm eine Zeit der moralischen Ausschweifungen: er vernachlässigte die Studien und, überwältigt von den irdischen Leidenschaften, ertaubte er gegenüber dem Ruf Gottes. Er verließ sein Heim und begann, auf der Suche nach neuen Erfahrungen Frankreich zu durchstreifen. Nach drei Jahren gelangte er in die Normandie und begab sich in die Benediktinerabtei von Bec, da ihn der Ruhm des Priors des Klosters, Landfrank von Pavia, anzog. Es war dies für ihn eine von der Vorsehung bestimmte und für den Rest seines Lebens entscheidende Begegnung. Denn unter Landfranks Anleitung nahm Anselm entschlossen die Studien wieder auf, und in kurzer Zeit wurde er nicht nur zum Lieblungsschüler des Meisters, sondern auch Person seines Vertrauens. Seine monastische Berufung entflammte erneut, und nach einer aufmerksamen Abwägung trat er im Alter von 27 Jahren in den Mönchsorden ein und wurde zum Priester geweiht. Die Askese und das Studium eröffneten ihm neue Horizonte und ließen ihn in bedeutend größerem Maß jene Vertrautheit mit Gott wiederfinden, die er als Kind hatte.

Nachdem Landfrank 1063 Abt von Caen geworden war, wurde Anselm nach gerade drei Jahren des Lebens als Mönch zum Prior des Klosters von Bec und Magister der Klosterschule ernannt; dabei ließ er die Begabung eines geschickten Erziehers zutage treten. Er war kein Liebhaber autoritärer Methoden; er verglich die jungen Menschen mit kleinen Pflanzen, die sich besser entfalten, wenn sie nicht in einem Treibhaus eingeschlossen sind, und er gewährte ihnen eine „gesunde" Freiheit. Er war sehr anspruchsvoll mit sich selbst und mit den anderen, was die klösterliche Obervanz betrifft, statt jedoch die Disziplin aufzuzwingen, setzte er sich dafür ein, sie durch Überzeugungskraft befolgen zu lassen. Nach dem Tod des Abtes Erluin, des Gründers der Abtei von Bec, wurde Anselm einstimmig als dessen Nachfolger gewählt: das war im Februar 1079. In der Zwischenzeit waren zahlreiche Mönche nach Canterbury gerufen worden, um den Brüdern jenseits des Ärmelkanals jene Erneuerung zu bringen, die auf dem Kontinent in Gang war. Ihr Werk war gern gesehen, was so weit ging, dass Landfrank von Pavia, der Abt von Caen, zum neuen Erzbischof von Canterbury gewählt wurde und Anselm bat, eine gewisse Zeit bei ihm zu bleiben, um die Mönche auszubilden und ihm in der schwierigen Situation zu helfen, in der sich seine kirchliche Gemeinde nach der Invasion durch die Normannen befand. Anselms Aufenthalt erwies sich als sehr fruchtbar; er gewann Sympathie und Hochachtung, so dass er nach dem Tod Landfranks zu dessen Nachfolger auf dem erzbischöflichen Stuhl von Canterbury gewählt wurde. Er empfing die feierliche Bischofsweihe im Dezember 1093.

Anselm setzte sich sofort in einem energischen Kampf für die Freiheit der Kirche ein und unterstütze mutig die Unabhängigkeit der geistlichen Macht von der zeitlichen. Er verteidigte die Kirche vor den unangemessenen Einmischungen der politischen Autoritäten, vor allem der Könige William II. Rufus und Heinrich I., wobei er Aufmunterung und Unterstützung seitens des Papstes fand, dem Anselm stets eine mutige und herzliche Anhängerschaft erwies. Diese Treue kostete ihm 1103 auch die bittere Erfahrung der Verbannung von seinem Sitz in Canterbury. Und erst als 1106 König Heinrich I. auf den Anspruch auf die kirchlichen Investituren wie auch auf die Besteuerung und Beschlagnahmung der Güter der Kirche verzichtete, konnte Anselm nach England zurückkehren, wo ihn Klerus und Volk frohgemut in Empfang nahmen. So kam der lange Kampf, den er mit den Waffen der Unbeugsamkeit, der hohen Gesinnung und der Güte geschlagen hatte, zu einem glücklichen Ende. Dieser heilige Erzbischof, der - wohin auch immer er kam - derart viel Bewunderung um sich erregte, widmete die letzten Jahre seines Lebens vor allem der moralischen Bildung des Klerus und der intellektuellen Forschung zu theologischen Gegenständen. Er starb am 21. April 1109, begleitet von den Worten des Evangeliums, die in der Heiligen Messe jenes Tages verkündet worden waren: „In allen meinen Prüfungen habt ihr bei mir ausgeharrt. Darum vermache ich euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat: Ihr sollt in meinem Reich mit mir an meinem Tisch essen und trinken..." (Lk 22,38-30). Der Traum von jenem geheimnisvollen Mahl, den er als Kind gerade zu Beginn seines geistlichen Weges gehabt hatte, kam so zu seiner Verwirklichung. Jesus, der ihn eingeladen hatte, sich an seinen Tisch zu setzen, nahm den heiligen Anselm bei seinem Tod in des ewige Reich des Vaters auf.

„Gott, ich bitte dich, ich will dich erkennen, lass mich dich lieben, um mich an dir zu erfreuen. Und wenn ich es in diesem Leben nicht bis zur Vollendung kann, so lass mich wenigstens Tag für Tag voranschreiten, bis es zur Vollendung kommt" (Proslogion, Kap. 26). Dieses Gebet lässt die mystische Seele dieses großen Heiligen der Zeit des Mittelalters verstehen, des Begründers der scholastischen Theologie, dem die christliche Tradition den Titel „Doctor Magnificus" verliehen hat, da er eine innige Sehnsucht danach hatte, die göttlichen Geheimnisse zu vertiefen, im vollen Bewusstsein jedoch, dass der Weg der Suche nach Gott nie abgeschlossen ist, wenigstens nicht auf dieser Welt. Die Klarheit und die logische Strenge seines Denkens hatten immer zum Ziel, „den Geist zur Betrachtung Gottes zu erheben" (ebd. Prooemium). Er erklärt eindeutig, dass - wer Theologie zu betreiben beabsichtigt - nicht allein auf seinen Verstand zählen darf, sondern gleichzeitig eine tiefe Glaubenserfahrung pflegen muss. Für den heiligen Anselm entfaltet sich die Tätigkeit des Theologen so in drei Stufen: der Glaube, unentgeltliches Geschenk Gottes, das in Demut anzunehmen ist; die Erfahrung, die darin besteht, das Wort Gottes im eigenen alltäglichen Leben Fleisch annehmen zu lassen; und schließlich die Erkenntnis, die niemals Ergebnis steriler Gedankengänge, sondern einer kontemplativen Intuition ist. Diesbezüglich bleiben für eine gesunde theologische Forschung sowie für jeden, der die Wahrheit des Glaubens zu vertiefen beabsichtigt, seine berühmten Worte auch heute mehr als wertvoll: „Herr, ich versuche nicht, in deine Höhe vorzudringen; mein Verstand kann dich ja auf keine Weise erreichen. Ich wünsche nur, einigermaßen deine Wahrheit zu begreifen, die mein Herz glaubt und liebt. Denn ich suche nicht zu begreifen, um zu glauben, sondern ich glaube, um zu begreifen" (ebd. 1).

Liebe Brüder und Schwestern, die Liebe zur Wahrheit und der ständige Durst nach Gott, die das gesamte Dasein des heiligen Anselm ausgezeichnet haben, mögen ein Ansporn für jeden Christen sein, unermüdlich eine immer innigere Einheit mit Christus, dem Weg, der Wahrheit und dem Leben, zu suchen. Darüber hinaus seien der mutige Eifer, der sein pastorales Wirken ausgezeichnet hat und ihm bisweilen Unverständnis, Bitterkeit und sogar die Verbannung eingetragen hat, eine Ermutigung für die Hirten, die geweihten Personen und für alle Laiengläubigen, die Kirche Christi zu lieben, für sie zu beten, zu arbeiten und zu leiden, ohne sie jemals zu verlassen oder zu verraten. Diese Gnade erlange uns die Jungfrau und Mutter Gottes, für die der heilige Anselm eine zärtliche und kindhafte Verehrung hegte. „Maria, dich will mein Herz immer lieben - schreibt der heilige Anselm - mein Mund sehnt sich glühend danach, dich zu preisen."
(Papst Benedikt XVI., Generalaudienz vom 23. September 2009)


Anselm von Canterbury, v. Kempe, Prembroke College, Oxford

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