Mose und der brennende Dornbusch, Basilika Sacre-Coeur, Paray le Monial |
Adonai
du starker Gott
Führer des Hauses Israel
Du bist dem Mose im Feuer des
Dornbusches erschienen
und hast ihm auf dem Sinai
das Gesetz gegeben.
Komm, rette uns mit
hocherhobenem Arm!
Vgl. Ex 6,
3 (Adonai statt Jahwe); Ex 13, 21; 3, 1-2; 19, 1-5; 6, 6.
Liebe Brüder und Schwestern!
In diesen Tagen, in denen wir uns immer mehr dem großen
Fest der Geburt Christi nähern, regt uns die Liturgie an, unsere
Vorbereitung zu vertiefen. Sie legt uns viele biblische Texte des Alten
und des Neuen Testaments vor, die uns dazu anspornen, uns den Sinn und
den Wert dieses jährlich wiederkehrenden Ereignisses gut zu
vergegenwärtigen. Wenn das Weihnachtsfest uns einerseits des
unglaublichen Wunders der Geburt des eingeborenen Sohnes Gottes aus der
Jungfrau Maria in der Grotte von Betlehem gedenken läßt, so ermahnt es
uns andererseits auch, wachend und betend unseren Erlöser zu erwarten,
denn am letzten Tag »wird er kommen, zu richten die Lebenden und die
Toten«.
Vielleicht warten wir heute, auch wir Gläubigen, wirklich auf
den Richter; wir alle warten jedoch auf Gerechtigkeit. Wir sehen soviel
Ungerechtigkeit in der Welt, in unserer kleinen Welt, zu Hause, in
unserem Stadtviertel, aber auch in der großen Welt der Staaten, der
Gesellschaften. Und wir warten darauf, daß Gerechtigkeit geschaffen
wird. Die Gerechtigkeit ist ein abstrakter Begriff: Gerechtigkeit wird
hergestellt. Wir warten darauf, daß derjenige, der Gerechtigkeit
herstellen kann, wirklich kommen möge. Und in diesem Sinne beten wir:
Komm, Herr Jesus Christus, als Richter, komm auf deine Weise. Der Herr
weiß, wie er in die Welt eintreten und Gerechtigkeit schaffen soll. Wir
beten darum, daß der Herr, der Richter, uns antworten möge, daß er
wirklich Gerechtigkeit in der Welt schaffen möge. Wir warten auf
Gerechtigkeit, aber das kann nicht nur Ausdruck eines Anspruchs sein,
den wir an die anderen stellen. Auf Gerechtigkeit zu warten bedeutet im
christlichen Sinne vor allem, daß wir selbst beginnen, vor dem Angesicht
des Richters und nach den Maßstäben des Richters zu leben. Es bedeutet,
daß wir beginnen, in seiner Gegenwart zu leben, indem wir die
Gerechtigkeit in unserem Leben verwirklichen. So nämlich – wenn wir die
Gerechtigkeit verwirklichen und uns in die Gegenwart des Richters
stellen – warten wir in der Wirklichkeit auf die Gerechtigkeit.
Das ist
der Sinn des Advents, der Wachsamkeit. Adventliches Wachen heißt, vor
dem Angesicht des Richters zu leben und so uns selbst und die Welt für
die Gerechtigkeit bereit zu machen. Auf diese Weise also, wenn wir vor
dem Angesicht Gottes, des Richters, leben, können wir die Welt öffnen
für das Kommen seines Sohnes, können wir das Herz bereiten, um den
»Herrn, der kommt«, aufzunehmen.
Das Kind, das die Hirten vor nunmehr
2000 Jahren in der Nacht von Betlehem in einer Grotte anbeteten, wird
nicht müde, im täglichen Leben zu uns zu kommen, während wir als Pilger
auf dem Weg zum Reich Gottes sind. In seinem Warten bringt der Gläubige
also die Hoffnungen der ganzen Menschheit zum Ausdruck. Die Menschheit
sehnt sich nach Gerechtigkeit, und so wartet sie, wenn auch oft
unbewußt, auf Gott, sie wartet auf das Heil, das nur Gott uns schenken
kann. Für uns Christen ist dieses Warten geprägt vom unablässigen Gebet:
Das wird sehr deutlich in den besonders eindrucksvollen Anrufungen, die
uns in diesen Tagen der Weihnachtsnovene sowohl in der Messe, im Ruf
vor dem Evangelium, als auch in der Feier der Vesper, vor dem Gesang des
»Magnifikat«, vorgelegt werden.
Jede der Anrufungen, die um das Kommen der Weisheit, der
Sonne der Gerechtigkeit, des Gott-mit- uns flehen, enthält ein Gebet,
das an den von den Völker Erwarteten gerichtet ist, auf daß er bald
komme. Um das Geschenk der Geburt des verheißenen Erlösers zu bitten,
bedeutet jedoch auch, daß man sich bemüht, ihm den Weg zu bereiten und
ihm eine würdige Wohnstatt zu schaffen – nicht nur in unserer Umgebung,
sondern vor allem in unserer Seele. Indem wir uns vom Evangelisten
Johannes leiten lassen, wollen wir daher versuchen, in diesen Tagen den
Sinn und das Herz dem ewigen Wort zuzuwenden, dem »Logos«, dem Wort, das Fleisch geworden ist und aus dessen Fülle wir Gnade über Gnade empfangen haben (vgl. 1,14.16).
(Benedikt XVI., Generalaudienz, 19.12.2007)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen