Pauli Bekehrung: Steh auf und geh...., Boris Anrep, Pauluskapelle in der Westminster Cathedral, London |
1 Ihr
Brüder und Väter, hört jetzt meine Verantwortung vor euch!
2 Als
sie aber hörten, dass er sie in hebräischer Mundart anredete, hielten sie noch
mehr Ruhe. Und er spricht:
3 Ich
bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien; aber auferzogen in
dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels, unterwiesen nach der Strenge des
väterlichen Gesetzes, war ich, wie ihr alle heute seid, ein Eiferer für Gott.
4 Ich
habe diesen Weg verfolgt bis auf den Tod, indem ich sowohl Männer als auch
Frauen band und in die Gefängnisse überlieferte,
5 wie
auch der Hohepriester und die ganze Ältestenschaft mir Zeugnis gibt. Von ihnen
empfing ich auch Briefe an die Brüder und reiste nach Damaskus, um auch
diejenigen, die dort waren, gebunden nach Jerusalem zu führen, dass sie
bestraft würden.
6 Es
geschah mir aber, als ich reiste und mich Damaskus näherte, dass um Mittag
plötzlich aus dem Himmel ein helles Licht mich umstrahlte.
7 Und
ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die zu mir sprach: Saul, Saul, was
verfolgst du mich?
8 Ich
aber antwortete: Wer bist du, Herr? Und er sprach zu mir: Ich bin Jesus, der
Nazoräer, den du verfolgst.
9 Die
aber bei mir waren, sahen zwar das Licht, aber die Stimme dessen, der mit mir
redete, hörten sie nicht.
10 Ich
sagte aber: Was soll ich tun, Herr? Der Herr aber sprach zu mir: Steh auf und
geh nach Damaskus! Und dort wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun
verordnet ist.
(Apg 22)
Petrus und Paulus mit Christus |
Das für unsere Meditation in der Gebetswoche, die wir heute abschließen, vorgeschlagene Thema lautet: »Wir werden alle verwandelt werden vom Sieg unseres Herrn Jesus Christus« (vgl. 1 Kor 15,51–58).
Die Bedeutung dieser geheimnisvollen Verwandlung, von der die zweite kurze Lesung heute abend spricht, zeigt sich auf wunderbare Weise in der persönlichen Geschichte des hl. Paulus. Infolge des außergewöhnlichen Geschehens, das ihm auf der Straße nach Damaskus widerfahren war, wurde Saulus, der sich durch den Eifer hervortat, mit dem er die im Entstehen begriffene Kirche verfolgte, in einen unermüdlichen Apostel des Evangeliums Jesu Christi verwandelt. In der Geschichte dieses außergewöhnlichen Glaubensverkündigers wird klar, daß diese Verwandlung nicht das Ergebnis eines langen inneren Nachdenkens und nicht einmal Frucht eines persönlichen Bemühens war. Sie ist vor allem Werk der Gnade Gottes, der gemäß seinen unerforschlichen Wegen gehandelt hat. Deshalb sagt Paulus, als er einige Jahre nach seiner Bekehrung an die Gemeinde in Korinth schreibt, wie wir in der ersten Lesung dieser Vesper gehört haben: »Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben« (1 Kor 15,10).
Wenn man sich also die Geschichte des hl. Paulus aufmerksam ansieht, begreift man, daß sich die Verwandlung, die er in seinem Dasein erfahren hat, weder auf die sittliche Ebene – wie etwa die von der Unsittlichkeit zur Sittlichkeit – noch auf die verstandesmäßige Ebene – wie etwa die Änderung des eigenen Verständnisses der Wirklichkeit – beschränkt, sondern daß es sich tatsächlich um eine radikale Erneuerung des eigenen Seins handelt, die in vieler Hinsicht einer Neugeburt ähnlich ist. Ihre Grundlage findet eine solche Verwandlung in der Teilhabe am Geheimnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi und zeichnet sich als ein stufenweiser Weg der Gleichgestaltung mit ihm ab. Im Licht dieses Bewußtseins wird der hl. Paulus, als er später dazu aufgerufen ist, die Rechtmäßigkeit seiner apostolischen Berufung und des von ihm verkündeten Evangeliums zu verteidigen, sagen: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (Gal 2,20).
Die vom hl. Paulus persönlich erlebte Erfahrung läßt ihn mit begründeter Hoffnung die Erfüllung dieses Mysteriums der Verwandlung erwarten, das allen, die an Jesus Christus glauben, und auch der ganzen Menschheit und der ganzen Schöpfung zuteil werden wird. In der kurzen zweiten Lesung, die heute abend verkündet wurde, beschreibt der hl. Paulus nach einer ausführlichen, mit den herkömmlichen Bildern aus der apokalyptischen Literatur seiner Zeit versehenen Darlegung, die in den Gläubigen die Hoffnung auf die Auferstehung stärken soll, in wenigen Zeilen den großen Tag des Endgerichts, an dem sich das Schicksal der Menschheit erfüllt: »Plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall [werden] die Toten zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden« (1 Kor 15,52). An jenem Tag werden alle Gläubigen Christus gleichgestaltet, und alles, was vergänglich ist, wird von seiner Herrlichkeit verwandelt werden: »Denn dieses Vergängliche«, so der hl. Paulus, »muß sich mit Unvergänglichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit« (1 Kor 15,53). Dann wird der Sieg Christi schließlich vollendet sein, weil, wie uns Paulus unter Hinweis auf die Erfüllung der alten Prophezeiungen der Schrift noch sagt, der Tod und mit ihm die Sünde, die ihn in die Welt kommen ließ, und das Gesetz, das die Sünde bestimmt, ohne uns die Kraft zu ihrer Überwindung zu geben, endgültig besiegt sein wird: »Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz« (1 Kor 15,54–56).
Der hl. Paulus sagt uns also, daß jeder Mensch durch die Taufe auf den Tod und die Auferstehung Christi am Siege dessen teilhat, der als Erster den Tod überwunden hat, indem er einen Weg der Verwandlung einschlägt, die sich schon jetzt in einer Erneuerung des Lebens äußert und ihre Vollendung am Ende der Zeiten erreichen wird. Sehr bezeichnend ist, daß der Abschnitt mit einem Dankwort schließt: »Gott aber sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus, unseren Herrn« (1 Kor 15,57). Der Gesang des Sieges über den Tod verwandelt sich in einen Gesang an dessen Überwinder. Auch wir wollen heute bei der Feier des abendlichen Gotteslobes unsere Stimmen, unsere Sinne und unsere Herzen zu diesem Hymnus des Dankes für das vereinen, was die göttliche Gnade im Völkerapostel und für den wundervollen Heilsplan vollbracht hat, den Gottvater durch den Herrn Jesus Christus an uns erfüllt. Während wir unser Gebet zum Himmel richten, sind wir zuversichtlich, daß auch wir verwandelt und dem Bild Christi gleichgestaltet werden. Das gilt insbesondere in bezug auf das Gebet für die Einheit der Christen. Wenn wir nämlich inständig um das Geschenk der Einheit der Jünger Christi flehen, machen wir uns den Wunsch zu eigen, den Jesus Christus vor seinem Leiden und Tod in seinem Gebet an den Vater zum Ausdruck gebracht hat: »Alle sollen eins sein« (Joh 17,21). Aus diesem Grund ist das Gebet für die Einheit der Christen nichts anderes als die Teilnahme an der Verwirklichung des göttlichen Planes für die Kirche, und der engagierte Einsatz für die Wiederherstellung der Einheit ist für alle eine Verpflichtung und große Verantwortung.
Auch wenn wir Christen in unseren Tagen die schmerzliche Situation der Spaltung der Christen erleben, können und sollen wir mit Hoffnung in die Zukunft schauen, denn der Sieg Christi bedeutet die Überwindung all dessen, was uns davon abhält, mit ihm und mit den anderen an der Fülle des Lebens teilzuhaben. Die Auferstehung Jesu Christi bestätigt, daß Gottes Güte über das Böse siegt, die Liebe Gottes den Tod überwindet. Er begleitet uns im Kampf gegen die zerstörerische Kraft der Sünde, die der Menschheit und der ganzen Schöpfung Gottes Schaden zufügt. Die Gegenwart des auferstandenen Christus ruft uns Christen alle dazu auf, uns gemeinsam für die Sache des Guten einzusetzen.
In Christus vereint sind wir dazu aufgerufen, unseren Sendungsauftrag miteinander zu teilen, nämlich dorthin Hoffnung zu bringen, wo Ungerechtigkeit, Haß und Verzweiflung herrschen. Unsere Spaltungen verdunkeln unser Zeugnis für Christus. Das Ziel der vollen Einheit, die wir in tätiger Hoffnung erwarten und für die wir voll Vertrauen beten, ist kein nebensächlicher Sieg, sondern wichtig für das Wohl der menschlichen Familie. In der heute vorherrschenden Kultur wird der Siegesgedanke häufig mit einem unmittelbaren Erfolg in Verbindung gebracht. In der christlichen Sicht hingegen ist der Sieg ein langer und in den Augen von uns Menschen nicht immer geradlinig verlaufender Prozeß der Verwandlung und des Wachstums im Guten. Sie vollzieht sich nach Gottes, nicht nach unseren Zeiten und verlangt von uns tiefen Glauben und geduldige Beharrlichkeit. Obwohl das Reich Gottes mit der Auferstehung Jesu endgültig in die Geschichte hereinbricht, ist es noch nicht vollkommen verwirklicht. Der endgültige Sieg wird erst mit der Wiederkunft des Herrn erfolgen, auf die wir mit geduldiger Hoffnung warten. Auch unser Warten auf die sichtbare Einheit der Kirche muß geduldig und vertrauensvoll sein. Nur in dieser Verfügbarkeit finden unser tägliches Gebet und unser Einsatz für die Einheit der Christen ihre volle Bedeutung. Die Haltung geduldigen Wartens bedeutet nicht Passivität oder Resignation, sondern eine bereitwillige und aufmerksame Antwort auf jede Möglichkeit zu Gemeinschaft und Brüderlichkeit, die uns der Herr schenkt.
(Papst Benedikt XVI., 25. Jänner 2012)
Westminster Cathedral |
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