Am 26.8. gedenkt die polnische Kirche Unserer Lieben Frau von Tschenstochau.
Ebenso wie die Apostel zusammen mit Maria »in das Obergemach hinaufgingen« und »dort einmütig im Gebet verharrten« (vgl. Apg
1,13–14), haben auch wir uns heute hier in Jasna Góra versammelt, das
für uns in dieser Stunde das »Obergemach« ist, wo Maria, die Mutter des
Herrn, unter uns ist. Heute leitet sie unsere Betrachtung; sie lehrt uns
beten. Sie zeigt uns, wie wir unseren Geist und unser Herz öffnen
können für die Macht des Heiligen Geistes, der zu uns kommt, damit wir
ihn in die ganze Welt tragen. Ich möchte herzlich die Erzdiözese
Tschenstochau mit ihrem Hirten, Erzbischof Stanislaw, und den Bischöfen
Antoni und Jan grüßen. Ich danke euch allen dafür, daß ihr euch zu
diesem Gebet versammelt habt
Meine Lieben, wir brauchen einen Augenblick der Stille
und der Sammlung, um uns in Marias Schule zu begeben, damit sie uns
lehrt, wie wir aus dem Glauben leben und in ihm wachsen können, wie wir
in den gewöhnlichen Begebenheiten unseres täglichen Lebens mit dem
Geheimnis Gottes in Berührung bleiben. Mit weiblicher Feinfühligkeit und
mit der »Fähigkeit, tiefe Einsichten mit Worten des Trostes und der
Ermutigung zu verbinden« (Johannes Paul II., Redemptoris Mater, 46), hat Maria den Glauben des Petrus und der Apostel im Abendmahlssaal gestützt und stützt heute meinen und euren Glauben.
Der Heilige Vater Johannes Paul II. hat gesagt: »Der Glaube ist nämlich eine Berührung mit dem Geheimnis Gottes« (ebd.,
17), denn »glauben will besagen, sich der Wahrheit des Wortes des
lebendigen Gottes zu ›überantworten‹, obwohl man darum weiß und demütig
anerkennt, ›wie unergründlich seine Entscheidungen, wie unerforschlich
seine Wege sind‹« (ebd., 14). Der Glaube ist die Gabe, die uns in
der Taufe geschenkt wurde und uns die Begegnung mit Gott ermöglicht.
Gott verbirgt sich im Geheimnis: Sich anzumaßen, ihn zu verstehen, würde
bedeuten, ihn in unsere Begriffe und unser Wissen einzugrenzen und ihn
so unwiederbringlich zu verlieren. Durch den Glauben hingegen können wir
uns einen Weg bahnen durch die Begriffe hindurch, sogar die
theologischen Begriffe, und können den lebendigen Gott »berühren«. Und
wenn wir Gott einmal berührt haben, schenkt er uns sofort seine Kraft.
Wenn wir uns dem lebendigen Gott überlassen, wenn wir Ihn mit demütigem
Geist um Hilfe bitten, erfüllt uns innerlich gleichsam ein verborgener
Strom göttlichen Lebens. Wie wichtig ist es doch für uns, an die Macht
des Glaubens, an seine Fähigkeit, eine direkte Verbindung mit dem
lebendigen Gott herzustellen, zu glauben! Wir müssen uns eifrig um die
Entfaltung unseres Glaubens bemühen, damit er wirklich unser ganzes
Verhalten, unsere Gedanken, Handlungen und Absichten erfüllt. Der Glaube
hat seinen Platz nicht nur in den Gemütsverfassungen und in den
religiösen Erfahrungen, sondern vor allem im Denken und im Handeln, in
der täglichen Arbeit, im Kampf gegen sich selbst, im Gemeinschaftsleben
und im Apostolat, denn er bewirkt, daß unser Leben von der Macht Gottes
erfüllt wird. Der Glaube kann uns immer zu Gott zurückführen, auch wenn
unsere Sünde uns Böses antut.
Im Abendmahlssaal wußten die Apostel nicht, was sie
erwartete. Sie fürchteten sich und waren besorgt um ihre eigene Zukunft.
Sie spürten noch das Staunen, das der Tod und die Auferstehung Jesu
hervorgerufen hatte, und hatten Angst, weil sie nach seiner Himmelfahrt
allein geblieben waren. Maria, »die geglaubt hatte, daß sich erfüllt,
was der Herr ihr sagen ließ« (vgl. Lk 1,45), verharrte mit den
Aposteln im Gebet und lehrte sie die Standhaftigkeit im Glauben. Durch
ihre ganze Haltung überzeugte sie die Apostel, daß der Heilige Geist in
seiner Weisheit den Weg, auf den er sie führte, sehr wohl kannte, und
daß man deshalb sein Vertrauen auf Gott setzen konnte, indem man ihm
sich selbst, die eigenen Talente, die eigenen Grenzen und die eigene
Zukunft vorbehaltlos überließ.
Viele von euch, die ihr hier anwesend seid, haben diesen
stillen Ruf des Heiligen Geistes vernommen und aus vollem Herzen
geantwortet. Die Liebe zu Jesus, »ausgegossen in eure Herzen durch den
Heiligen Geist, der euch gegeben ist« (vgl. Röm 5,5), hat euch
den Weg des geweihten Lebens gewiesen. Nicht ihr habt ihn gesucht. Jesus
war es, der euch gerufen und zu einer tieferen Vereinigung mit ihm
eingeladen hat. Im Sakrament der heiligen Taufe habt ihr dem Satan und
seinen Werken widersagt und die für das christliche Leben und zur
Heiligung notwendigen Gnaden erhalten. Von dem Augenblick an ist in euch
die Gnade des Glaubens aufgeblüht, die es euch erlaubt hat, euch mit
Gott zu vereinigen. Im Augenblick des Ordensgelübdes oder des
Versprechens hat euch der Glaube zu einer totalen Zustimmung zum
Geheimnis des Herzens Jesu geführt, dessen Schätze ihr entdeckt habt.
Daraufhin habt ihr auf Dinge verzichtet, die gute Dinge sind – auf die
freie Verfügung über euer Leben, auf die Gründung einer Familie, auf die
Vermehrung von Gütern –, um frei zu sein, euch Christus und seinem
Reich vorbehaltlos zu schenken. Erinnert ihr euch an eure Begeisterung,
als ihr im Vertrauen auf die Hilfe der Gnade den Pilgerweg des geweihten
Lebens begonnen habt? Sorgt dafür, daß ihr den Schwung der Anfangszeit
nicht verliert, und laßt euch von Maria zu immer größerer Treue führen.
Liebe Ordensmänner, liebe Ordensfrauen, liebe geweihte Personen! Was
auch euer Sendungsauftrag sein mag, welchen klösterlichen oder
apostolischen Dienst ihr auch tun mögt, bewahrt im Herzen die
Vorrangstellung eures geweihten Lebens. Dieses belebe euren Glauben. Das
im Glauben gelebte geweihte Leben vereinigt eng mit Gott, weckt die
Charismen und verleiht eurem Dienst außergewöhnliche Fruchtbarkeit.
Liebe Priesteramtskandidaten! Welche Hilfe kann auch
euch erwachsen aus der Reflexion über die Art und Weise, wie Maria von
Jesus gelernt hat! Von ihrem ersten »fiat« an und in all den
langen Jahren des täglichen Lebens in Verborgenheit, in denen sie Jesus
aufzog, oder als sie in Kana in Galiläa den Anstoß für das erste Zeichen
gab, oder als sie am Ende auf Golgota unter dem Kreuz auf Jesus
schaute, »erlernte« sie Ihn Augenblick für Augenblick. Sie hat den Leib
Jesu zuerst im Glauben und dann im eigenen Schoß empfangen und ihn
geboren. Sie hat ihn Tag für Tag angebetet, innerlich beglückt, sie hat
ihm mit verantwortungsbewußter Liebe gedient, sie hat im Herzen das »Magnifikat«
gesungen. Laßt euch auf eurem Weg und in eurem zukünftigen
priesterlichen Dienst von Maria anleiten, Jesus zu »erlernen «!
Betrachtet ihn, laßt euch von ihm formen, damit ihr später in eurem
Dienst imstande seid, ihn allen zu zeigen, die zu euch kommen. Wenn ihr
den eucharistischen Leib Jesu in eure Hände nehmt, um das Volk Gottes
mit ihm zu speisen, und wenn ihr die Verantwortung für den euch
anvertrauten Teil des mystischen Leibes übernehmt, dann denkt an die
Haltung des Staunens und der Anbetung, die den Glauben Marias
gekennzeichnet hat. So wie sie in ihrer verantwortungsbewußten,
mütterlichen Liebe zu Jesus die von Staunen erfüllte jungfräuliche Liebe
bewahrte, so sollt auch ihr, wenn ihr im Augenblick der Konsekration
liturgisch niederkniet, in eurem Herzen die Fähigkeit bewahren, zu
staunen und anzubeten. Versteht es, im euch anvertrauten Volk Gottes die
Zeichen der Gegenwart Christi zu erkennen. Seid aufmerksam und
feinfühlig gegenüber den Zeichen der Heiligkeit, die Gott euch unter den
Gläubigen sehen läßt. Habt keine Angst vor den Pflichten und vor der
unbekannten Zukunft! Habt keine Angst, daß euch die Worte fehlen könnten
oder daß ihr auf Ablehnung stoßt! Die Welt und die Kirche brauchen
Priester, heilige Priester!
Liebe Vertreter der neuen Bewegungen in der Kirche! Die
Lebendigkeit eurer Gemeinschaften ist ein Zeichen der tätigen Gegenwart
des Heiligen Geistes! Eure Sendung ist aus dem Glauben der Kirche und
aus dem Reichtum der Früchte des Heiligen Geistes entstanden. Mein
Wunsch ist, daß ihr immer zahlreicher werdet, um dem Anliegen des
Reiches Gottes in der Welt von heute zu dienen. Glaubt an die Gnade
Gottes, die euch begleitet, und tragt sie in das lebendige Gefüge der
Kirche und besonders dorthin, wo Priester und die Ordensleute nicht
hingelangen können. Die Bewegungen, denen ihr angehört, sind vielfältig.
Ihr nährt euch von der Lehre, die aus verschiedenen von der Kirche
anerkannten Schulen der Spiritualität stammt. Nutzt die Weisheit der
Heiligen und greift auf das von ihnen hinterlassene Erbe zurück. Bildet
euren Geist und eure Herzen anhand der Werke der großen Lehrmeister und
der Glaubenszeugen, eingedenk der Tatsache, daß die Schulen der
Spiritualität keine Schätze sein dürfen, die in den Bibliotheken der
Konvente verschlossen bleiben. Die Weisheit des Evangeliums, die man in
den Werken der großen Heiligen gelesen und deren Wahrheit man im eigenen
Leben erfahren hat, muß auf reife, nicht auf kindliche oder aggressive
Weise in die Welt der Kultur und der Arbeit, in die Welt der Medien und
der Politik, in die Lebenswelt der Familie und der Gesellschaft getragen
werden. Der Vergleich mit dem Glauben Marias wird der Prüfstein für die
Authentizität eures Glaubens und eurer Sendung sein, die die
Aufmerksamkeit nicht auf sich selbst zieht, sondern wirklich den Glauben
und die Liebe um sich verbreitet. Spiegelt euch im Herzen Marias.
Bleibt in ihrer Schule!
Als die Apostel, erfüllt vom Heiligen Geist, in die
ganze Welt hinauszogen und das Evangelium verkündeten, nahm in
besonderer Weise einer von ihnen, Johannes, der Apostel der Liebe,
»Maria zu sich« (vgl. Joh 19,27). Dank seiner tiefen Verbindung
mit Jesus und mit Maria konnte er so nachhaltig auf der Wahrheit
bestehen: »Gott ist die Liebe« (1 Joh 4,8.16). Diese Worte habe ich selbst als Anfang der ersten Enzyklika meines Pontifikats gewählt: Deus caritas est!
Dies ist die wichtigste, die zentralste Wahrheit über Gott. Allen, die
Schwierigkeiten haben, an Gott zu glauben, wiederhole ich heute: »Gott
ist die Liebe«. Liebe Freunde, seid selbst Zeugen dieser Wahrheit. Ihr
werdet es auf wirksame Weise sein, wenn ihr in die Schule Marias geht.
An ihrer Seite werdet ihr selbst erfahren, daß Gott die Liebe ist, und
ihr werdet der Welt diese Botschaft vermitteln mit dem Reichtum und der
Vielfalt, die der Heilige Geist hervorrufen wird.
Gelobt sei Jesus Christus.
(Ansprache von Papst Benedikt am 26. Mai 2006 in Tschenstochau)
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